Interview mit dem Schulleiter des Wolkenberg-Gymnasiums Michendorf

Henrik Reinkensmeier

Jugendparlament Michendorf

Bahnhof Michendorf

Jugendliche aus Michendorf

Schule und Demokratie – geht das für Sie zusammen?

Schule basiert ja letzten Endes darauf, dass Demokratie existiert. Das beginnt mit dem Schulprogramm. Das entsteht nicht ohne Mitwirkung der Beteiligten, also Schüler, Eltern und Lehrer. Wenn die dann nicht zusammenarbeiten, findet Schule – so wie wir das sehen – nicht statt. Die häufigste Form der von uns gewählten Zusammenarbeit ist der Dialog und das Ergebnis ist immer ein Kompromiss. Das, was dabei erlernt wird, ist etwas sehr wertvolles: Leute mit unterschiedlichen Meinungen lernen, dass man einen Weg finden muss, auf dem man zusammen gehen kann.


Wie nehmen Sie Schüler war – haben diese Lust, ihre Lebensumwelt zu gestalten oder nehmen sie lieber eine fertige Welt hin?

Es gibt beide Formen von Schülern. Vieles hängt vom Elternhaus ab - aber auch von der Schule. Wenn es Chancen für Schüler gibt, an exponierter Stelle aus der Masse herauszutreten, um bestimmte Interessen für sich, die Klasse oder sogar für die Schule zu vertreten, dann gibt es immer welche, die das tun. Die erleben dann, das dieses Engagement zwei Formen von Ergebnis haben kann: Bewunderung oder herbe Kritik. Schule hat dabei aber den Vorteil, dass sie eine Art geschütztes Umfeld liefert. Die Auswirkungen sind für die Schüler noch nicht so existentiell wie in der großen Politik.


Wo und wie beginnt Lust an Mitgestaltung?

Eindeutig mit dem Älterwerden. Wer älter wird, dem werden seine eigenen Ziele wichtiger. Aber die Sache hat einen Hacken: Nur der wird sich in seiner Schule oder seiner Heimatgemeinde einbringen, der sieht, dass er eine Chance hat, etwas zu verändern. Sieht der Jugendliche diese Chance nicht, lässt er es sehr wahrscheinlich bleiben. Dort, wo sich Politik öffnet, kann sie fast automatisch mit dem Engagement der jungen Leute rechnen. Sich nicht zu öffnen, heißt, Jugendlich auf Distanz zu halten.


Das Schülerparlament wurde von Absolventen ihrer Schule gegründet. Zufall?

Es ist nicht ein Zufallsprodukt. Ich denke, es kamen einfach drei Komponenten zusammen: die Schule, das Elternhaus und das Parlament Michendorf. Etwas kommt noch hinzu: wer keine Mittelpunktposition einnehmen will, sagt nicht, ich will das, dieses oder jenes ändern. Man braucht schon ein Talent, sich vor eine Gruppe zu stellen und etwas stellvertretend zu sagen. Unsere Aufgabe ist es, Jugendlichen ein Feld anzubieten, wo sie das probieren können.


Werden die Jugendlichen im Parlament einen langen Atem haben?

Es ist so, dass die Realpolitik für Jugendliche keine anziehende Wirkung hat. Sie erleben die Politikverdrossenheit ihrer Umwelt und wissen, in welche Welt sie sich hineinbegeben, wenn sie an einer Ausschusssitzung teilnehmen. Dort treffen sie auf feste Strukturen, und festgefahrene Strukturen haben etwas Erdrückendes für jemanden, der sich darauf einrichtet, in und nach der Ausbildung mal hier und dort zu leben. Also die Jugendlichen haben nicht so viel Zeit, auf Veränderungen zu warten. Sie gehen vielleicht in zwei Jahren für ein Jahr nach Frankreich. Also muss in einem Jahr z.B. eine Skaterbahn machbar sein. Und das geht ja bekanntlich bei uns nur selten.


Also haben die Jugendlichen eigentlich doch keine Chance, wirklich etwas zu bewegen?

Das kann ich nicht genau einschätzen. Aber ich denke: hier bei uns haben die Parlamentarier verstanden, dass Jugendliche Ergebnisse ihres Mitspracherechtes sehen wollen. Sie wissen: wenn wir die jungen Leute bremsen, werden sie nicht mehr kommen. Die Folge davon: das Jugendparlament würde den Weg alles Irdischen gehen. Und das will hier wirklich niemand mehr.

Wirklich?

Das glaube ich schon. Wer will sich denn als Parlamentarier von jungen Leuten gerne sagen lassen, dass er nicht zu seinem Wort steht. Das ist in einem Regionalparlament anderes als in den großen hohen Häusern.


Hätten Sie einen Tipp, wie Jugendbeteiligung dauerhaft gewährleistet werden kann?

Die Parlamentarier müssen alles, was junge Leute betrifft, auch mit ihnen besprechen. Ohne Ausnahmen. Und nicht nur das so genannte Jugendleben. Jugendliche interessiert schon, wie die Zukunft ihres Ortes aussieht. Sie wollen gefragt werden. Sie wollen wissen, ob eine Rückkehr nach der Ausbildung attraktiv sein wird. Also muss man mit ihnen den Klimaschutz vor der eigenen Haustür thematisieren, Bäume pflanzen. Die Älteren müssen den jüngeren signalisieren, dass sie dauerhaft und verlässlich Interessenvertreter Jugendlicher sind.

Ihrer Antwort entnehme ich, dass solch eine verlässliche Interessenvertretung noch nicht existiert?

Wir haben – anders als Anfang der neunziger Jahre – sehr festgefahrene parlamentarische Strukturen. Da hat ein wirkliches Stimmrecht nur ein gewählter Abgeordneter. Jugendliche kann man, wenn sie „anstrengend“ werden, mit einer so genannten „beratenden Stimme“ abspeisen. Jugendliche brauchen darum eine verlässliche Lobby. Das andere sind die parlamentarischen Gepflogenheiten. Sollen sich Jugendliche daran gewöhnen, um mitmachen zu dürfen?


Eine Lösung wäre doch: die Schule erhält im Parlament ein Stimmrecht.

Es gibt in der Schule viele Beispiele dafür, wie Meinungsbildung Jugendlicher stattfindet. Die begreifen sehr gut, dass sie uns Lehrer benutzen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Natürlich ist denkbar, auf diesem Wege direkt in die parlamentarische Arbeit in der Region einzugreifen. Es wäre ein großes Erlebnis für Schüler, wenn sie spüren, sie können wirkliche Spuren im Alltagsleben ihres Ortes hinterlassen. Die Chance haben sie bisher nicht gefunden.


Dann ist es aber doch so, dass junge Leute in der Politik noch nicht erwartet werden?

Das kann man so sagen. Was denken sie, wie viele Leute sich bei uns noch darüber wundern, dass es in Michendorf ein Jugendparlament gibt. Das sagt doch fast alles. Jugendbeteiligung ist kein Alltag. Man darf aber den jungen Leuten nicht abgewöhnen, dass sie Ideen und Lust haben auf Veränderung. Es ist das Recht der Jugend daran zu zweifeln, dass wir Älteren ihnen eine Welt hinterlassen, an der man besser nichts ändern sollte. Mir gefallen Jugendliche, die zu mir kommen und sagen: das und das gefällt mir nicht, wir sollten das lieber so und so machen. Also wenn jemand mit Vorschlägen kommt.

Havelfilm, 2008

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