Vom Zettel-Falten und Wählen

WAHLweise – hier stellt uns der Karikaturist seine Auswahl von Kandidaten und Wählern in ihren Eigenheiten und Besonderheiten vor.

Das Wahlvolk erhält die Kandidaten, die es verdient hat. Oder haben wir die nicht verdient? Erinnerungen stellen sich ein, besonders beim Ost-Betrachter. „Wählen ist Unsinn“, stand in einer Sprechblase, die zum Gesicht von Walter Ulbricht gehörte, und das war zu sehen auf einem Bierdeckel, der in den 90er Jahren im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg verteilt wurde.

Wie wahr! In der DDR konnte man wählen, wen man wollte, wenn denn Zettel-Falten wählen war, heraus kam immer der Große Tischlergeselle, zumindest, solange seine Genossen ihn nicht gestürzt und durch den Großen Dachdecker ersetzt hatten. Die CDU-Genossen saßen in der Zweiten Reihe, und waren immer dabei. Opposition war staatsfeindlich oder im Westen berechtigt, jedenfalls hier nicht vorgesehen.

Dann kam die Wende. Als erstes vereinbarte der „Runde Tisch“ freie Wahlen unter der Voraussetzung der Parteienkonkurrenz. Das andere Prinzip – dass die Partei immer Recht habe, weil sie über die Große Welt-Lehre verfüge, die allmächtig sei, und der Große Dachdecker deren Gestalt auf Erden – war erschöpft. Viele hatten diese Unterstellung schon immer für eine Schimäre gehalten, nur sagen durfte man das nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Nun war das Konsens, und es wurde gewählt. Heraus kam 1990 etwas anderes, als alle zuvor gewähnt hatten; vor allem die Arbeiter hatten den Kohl gewählt, weil sie meinten, dass der das Geld hatte und am ehesten das Gegenteil dessen war, was zuvor herrschte. Dieser seinerseits versprach die „Blühenden Landschaften“... Der Rest ist bekannt. Derzeit blühen vor allem die Geschäfte der mit Zwangsversteigerung von Immobilien Befassten.

„So hatten wir uns das 1989 nicht gedacht“, murmelt es landauf, landab. Also schaffen wir das Wählen wieder ab? „Wir brauchen eine Zoffjett-Republik mit ein unumschränkten Offsier an die Spitze“, witzelte Kurt Tucholsky 1930, und er ahnte, dass es blutiger Ernst werden würde. Man mag den Wahlrummel grässlich finden, die kreidefressenden Politiker, die nach den Drehbüchern ihrer Image-Berater in die Kamera grinsen, die aufdringliche Reklame, die zur Bundestagswahl inzwischen nach den gleichen Regeln gemacht wird, wie die für Damenunterwäsche oder Zahnpasta.

Am Ende geht es aber doch um etwas. Ob die Steuern für die Reichen oder die Armen gesenkt werden, das Kindergeld erhöht wird oder die Pauschale für das Dienstmädchen, die Gesetze die Haltung von chemievergifteten Hühnern in Kleinkäfigen erleichtern oder erschweren – alles das macht einen Unterschied.

Das Wunder vom Spendensumpf

Und der wird in der Politik gemacht, weit unterhalb der Schwelle, da es um die großen Weltfragen geht, was denn das internationale Globalkapital kann, will oder soll.

Wenn es drauf ankommt, entscheidet möglicherweise der eine Stimmzettel über die künftige Gestaltung der Dinge im Land. „Auf Dich kommt es an, nicht auf alle!“ Und wer nicht hingeht, muss nehmen, was die anderen gemacht haben. Wer die Rechtspopulisten nicht will, muss die anderen wählen, sonst kriegt er sie doch.

Das zeichnet Zehentmayr so nicht. Vielleicht kann das auch gar nicht gezeichnet werden. Aber seine Karikaturen sind ein Eingriff in die öffentliche Debatte. Sie sind mit spitzer Feder gemacht, aber sie haben im Hintergrund ein altmodisch ernstes Verhältnis zu den öffentlichen Angelegenheiten.

Anders jedoch sind jene nicht zu regeln. Das mit der „Spassgesellschaft“ war Yuppie-Geschwätz von gestern. Die finden schon ihre Steuer-Schlupflöcher und können sich stets um sich selber kümmern. Das politische Gemeinwesen aber muss sich um das Ganze kümmern, und dazu gehören immer auch die Mühseligen und Beladenen. Und dass die einen wie die anderen, die Yuppies und die Beladenen jeweils die gleiche Stimmenanzahl haben, ist eigentlich an sich schon Zeichen des Fortschritts.

Dem Weltbild des Geld-Scheins würde eigentlich die Wiedereinführung des Drei-Klassen-Wahlrechts entsprechen, wie es in Preussen anno dunnemals galt. Der Freiheit entspricht die Gleichheit, zunächst der Stimme. Und wir können alle gleichermaßen über die hier präsentierten Zeichnungen schmunzeln. So ernst ist es also doch noch nicht.

Dr. Erhard Crome

 

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