Frauen und Politik? Niemals. Zu wenig Hirn, zu viel Emotionen, schwach an Körper und Wille. Nicht nur Frauen kämpften gegen dieses Bild und für politische Teilhabe.
Der Mann war alt und wirkte irgendwie steif von innen und außen mit seiner breiten Schneise auf dem Kopf, an deren Seiten sich kleine Locken im Stil der Zeit festhielten. Zumindest waren das meine Gedanken als ich das erste Mal ein Bild von John Stuart Mill sah.
Da war ich selbst jung, so um die 20 und studierte Geschichte. Das Frauenwahlrecht stand auf dem Lehrplan und ich erfuhr zum ersten Mal überhaupt, dass es einflussreiche Männer wie John Stuart Mill waren, die großen Anteil daran hatten, das Thema in den politischen Raum zu tragen. Bis dahin hatten das aus meiner Sicht nur die Frauen selbst getan, allen voran Clara Zetkin – so kannte ich es aus der Schule.
Nun aber las ich mich hinein ins viktorianische England des Jahres 1866, als der liberale Abgeordnete John Stuart Mill eine Petition für das Frauenwahlrecht ins britische Unterhaus einbrachte. Die Abstimmung erzielte mit einem Drittel Zustimmung einen Achtungserfolg und wird im Rückblick als Beginn der organisierten Bewegung für ein Stimmrecht für Frauen gewertet. Da war Mill 60 Jahre alt, seit mehr als dreißig Jahren verliebt in die mit einem anderen verheiratete Harriet Taylor, eine vehemente Frauenrechtlerin. Er heiratete sie später und veröffentlichte gemeinsame Werke.
Das alles war ein Skandal im damaligen England – die „wilde“ Ehe vor der Hochzeit, die Forderung nach einem Scheidungsrecht, das Eintreten für Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, auch und gerade beim politischen Mitbestimmen. Bis 1918 dauerte es, bevor in Großbritannien das Wahlrecht für Frauen, zunächst nur für die 30plus-Jährigen, eingeführt wurde.
Damenwahl
1919 durften Frauen ab 20 Jahren in Deutschland erstmals wählen gehen. Die „Weibspersonen“ haben einen hohen Preis dafür gezahlt: Schafott, Gefängnis, Häme, Spott, Ausgrenzung… Olympe de Gouges in Frankreich, Emmeline Pankhurst in England, Hedwig Dohm, Marie Juchacz, Clara Zetkin und viele andere standen gegen das Frauenbild ihrer Zeit, das den Damen zu wenig Hirn, zu viel Emotionen, zu schwache Körper und fehlende Willenskraft bescheinigte – begründet von der Natur, Gott und der Wissenschaft.
Zu Recht kennt man die Namen der Frauen noch heute, werden sie 100 Jahre später gefeiert, weil die Gleichberechtigung noch immer nicht selbstverständlich ist: Frauen sind in politischen Vertretungen weiterhin unterrepräsentiert, der Anteil von weiblichen Vorständen in börsennotierten Unternehmen steigt in Deutschland nur homöopathisch und die Sichtbarmachung von Frauen und anderen Geschlechtern in der Sprache zieht regelrechte Schützengräben.
Dennoch fehlen mir auf der Party auch die Männer. Die namhaften, die wie der Liberale John Stuart Mill oder der Sozialist August Bebel ihre Popularität und ihren Einfluss nutzten, um gemeinsam mit den Frauen für gleiche Rechte einzutreten, ebenso wie die namenlosen, die ihre Frauen zu allen Zeiten unterstützt haben und unterstützen.
Danke, liebe Männer, allein hätten wir es auch geschafft, aber schöner ist’s mit euch.
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