Nach dem brutalen Mordfall am 22. Juli in Templin behauptete Templins Bürgermeister Ulrich Schoeneich gegenüber den Medien, es gebe keine rechtsextreme Szene in seiner Stadt. Inzwischen wurden zahlreiche Berichte und Stellungnahmen veröffentlicht, die zeigen, dass diese Darstellung unhaltbar ist. Hier ein Blick auf die wichtigsten Diskussionsbeiträge der letzten Tage:
Der Verein „Opferperspektive“ teilte in einer Presseerklärung mit, man habe in den vergangenen zwölf Monaten zehn rechtsextreme Gewalttaten in Templin registriert, „so viele wie sonst nur in Potsdam und Cottbus“. „Zeit Online“ berichtet, die Zahl der rechtsextremen Straftaten in der Stadt habe sich nach Angaben der Templiner Polizei im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahezu verdoppelt. 28 Delikte wurden registriert, darunter drei Körperverletzungen.
Das Fernsehmagazin „Brandenburg aktuell“ zeigte einen Bericht (Video, 3 Minuten), in dem deutlich wird, dass es in Templin sehr wohl eine gewaltbereite rechtsextreme Szene gibt. Dies sei vielen Templinern auch bekannt. Die Polizei habe aufgrund der zunehmenden Probleme ihre Präsenz in Templin verstärkt und ein eigenes Konzept zur Prävention rechter Straftaten entwickelt. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm erklärte gegenüber dem „Tagesspiegel“, Templin sei beim Verfassungsschutz und der Polizei „schon seit längerer Zeit als Stadt mit einer rechten Szene bekannt“ und entsprechend habe man reagiert.
Ein interessantes Interview mit Dirk Wilking, dem Geschäftsführer des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Brandenburg, war im „Inforadio“ zu hören. Das vierminütige Gespräch kann hier als MP3 downgeloaded werden. Wilking konstatiert einen dramatischen „Werteverlust“ in rechtsextremen Jugendszenen: „Die Grenze zum Töten ist offensichtlich in bestimmten Milieus relativ gering.“ Auf die Frage von Annette Nolting, was man dagegen tun könne, meint Wilking:
„Das Problem ist, dass diese Form der Ausgrenzung natürlich einen Resonanzboden in der Erwachsenenwelt hat. D.h. in den familiären und öffentlichen, kommunalen Diskursen wird durchaus kommuniziert, dass sich eine Stadt, eine Kommune, ein Gemeinwesen aussuchen kann, wer Mitglied ist. Also, die gehören dazu und die Assis nicht, die gehören weg. Die Schwulen gehören weg. Und in dem Moment, wo das so kommuniziert wird, dass sich ein Gemeinwesen seine Mitglieder einfach aussuchen darf, da kommt das natürlich auf fruchtbaren Boden bei den rechtsextrem sortierten Jugendlichen.“
Holger Wild stellt im „Tagesspiegel“ die Frage, warum der Fall der Münchner U-Bahn-Schläger ein hohes Maß an medialer und politischer Aufmerksamkeit erregte, während der Mord in Templin „offenbar als lokale Angelegenheit betrachtet“ werde.
„Könnte es … sein, dass der entscheidende Unterschied in der Wahrnehmung der Verbrechen von München und Templin darin liegt, dass hier zwei junge Ausländer einen pensionierten deutschen Studienrat angriffen – und da zwei junge Brandenburger Rechtsradikale einen arbeitslosen Säufer umbrachten?
Dies sind die unangenehmen Fragen: Ist Ausländerkriminalität schlimmer als Inländerkriminalität?
Oder gelten uns rechte Totschläger in Brandenburg schon nur noch als Teil einer Normalität, wie sie eben leider ist?
Oder zählt in diesem Land das Leben eines Studienrats etwa mehr als das eines Stützeempfängers?
Es gibt Fragen, da möchte man die Antwort lieber nicht hören.“
Ulrich Schoeneich hat am Sonntag (vermutlich infolge der heftigen Kritik) zugestanden, es gebe „Probleme der Stadt mit einigen Jugendlichen“. Eine angemessene Problembeschreibung ist dies meines Erachtens nicht, denn der Begriff „rechtsextrem“ wird wiederum vermieden. Die Argumentation des Bürgermeisters kommt einem irgendwie bekannt vor. Markus Kavkas Empörung ist berechtigt.
Link:
Eine kontinuierliche Berichterstattung zum Rechtsextremismus in der Uckermark liefert das Infoportal „gegenrede“.
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Kommentare
KommentierenGuten Abend, ich vermisse
Zu dem Kommentar wäre vieles
Zu dem Kommentar wäre vieles zu sagen. Ich möchte nur einen Aspekt herausgreifen. Die Behauptung des Kommentators, der Begriff „Rechtsradikale“ werde „bewußt schön schwammig gehalten, damit er nach Belieben herangezogen werden kann“, ist für mich nicht nachvollziehbar. Definitionen der Begriffe „Rechtsradikalismus“ und „Rechtsextremismus“ gibt es auf vielen Homepages von Organisationen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Hier nur eine kleine exemplarische Auswahl: Verfassungsschutz Brandenburg (Rechtsextremismus), Mut gegen rechte Gewalt (Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus) und Netz gegen Nazis (Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus). Auch im Glossar unserer Homepage - das ich generell allen empfehlen möchte, die auf der Suche nach Definitionen sind - findet man die Begriffe Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus.
Sicherlich sind beide Begriffe (insbesondere der Begriff Rechtsradikalismus) nicht unumstritten. Wenn man eine sehr knappe Definition haben will, könnte man mit dem Netz gegen Nazis „rechtsextremistisches Denken auf einen Kern reduzieren: Es lehnt die Gleichheit (bzw. Gleichwertigkeit) aller Menschen grundsätzlich ab.“
Ein tieferes Einsteigen in die Definitionsfrage ist an dieser Stelle nicht erforderlich. Es kann nach allen vorliegenden Berichten keinen Zweifel daran geben, dass es in Templin eine Szene gibt, die als rechtsextrem zu bezeichnen ist. Inzwischen hat auch der Brandenburger Verfassungsschutz hierzu eine Kurzeinschätzung veröffentlicht. Ebenso spricht (wenn man es äußerst vorsichtig formuliert) vieles dafür, dass der Mord an Bernd K. auf rechtsextremen Motiven beruht (für meinen Geschmack ist das schon viel zu vorsichtig formuliert). Die Verwendung der Bezeichnung „rechtsextrem“ schließt im übrigen selbstverständlich nicht aus, dass man die Situation vor Ort und die Persönlichkeit der mutmaßlichen Täter differenziert beurteilt, wie es z. B. in diesem Artikel in der Frankfurter Rundschau versucht wird.
Im Kommentar ist von der „angebliche(n) rechtsradikale(n) politische(n) Einstellung der Täter“ (Hervorhebung von mir; GS) die Rede. Dazu nur ein paar unstrittige Details: Einer der Tatverdächtigen trug ein Rudolf-Heß-T-Shirt, der andere eines mit der Aufschrift „Frontkämpfer“. Beide sind vorbestraft, der eine u. a. weil er den Hitlergruß gezeigt hatte und einen Mann angegriffen und als „Jude“ beschimpft hatte. Ich überlasse es den Lesern dieses Blogs, über die Angemessenheit des Begriffs „angeblich“ zu urteilen.
Kritisiert wird die Bezeichnung „Rechte“ im Tagesspiegel-Kommentar. Ich habe keine Lust, mich damit weiter zu befassen. Holger Wild spricht von „rechte(n) Totschläger(n)“ und aus dem Kontext geht eindeutig hervor, was gemeint ist.
Ob ich den Begriff „rechts“ für „alles rechts von CDU/CSU“ verwenden würde. Was spricht dagegen?
In manchen Fällen sind aber auch Selbstbezeichnungen sehr interessant. Der Autor des obigen Kommentars hat sich da besonders deutlich positioniert. Sie können es hier nachlesen: „Ich selbst bin nicht links oder rechts. Ich bin Nationalist und Sozialist.“
Grundsätzlich ist die Beschäftigung mit Definitionen ein sinnvolles Unterfangen, denn es dient dazu, Klarheit über einen Themenkomplex zu gewinnen. „Heinz Oskar Hauenstein“ (zu dem Pseudonym wäre eigentlich auch noch einiges zu sagen) interessiert sich aber gar nicht für meine Antworten. Sprache ist für ihn nur ein Mittel, um zu täuschen. Dem eben genannten Link ist nämlich zu entnehmen, dass er den Begriff „rechts“ „kommunikations-technisch gesehen“ für „verbrannt“ hält, da dieser „mit NS-Terror“ gleichgesetzt werde. Aus diesem Grunde müssten die „Nationalisten“ sich von dem Begriff verabschieden. „Statt immer und immer wieder mit dem Kopf gegen die Mauer zu rennen, bis er blutet, umgehen wir die Mauer.“ Ob aber die Kombination von „Nationalist“ und „Sozialist“ tatsächlich für dieses Täuschungsmanöver geeignet ist? Gebhard Schultz
Bevor es hier querbeet geht,
Heinz Oskar Hauenstein (geb.
Guten Abend Herr Schultz, ich
Es gehört zweifellos zu den
Guten Abend, warum möchte man
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