Ein Schloss für drei Generationen

Das alte Schloss braucht Hilfe. Auch wenn es wie eine Trutzburg aussieht, wird es nicht mehr lange dem Verfall trotzen können. Wenig wurde zu seiner Erhaltung getan, zuletzt wohl gar nichts mehr. Seit Jahren steht es leer. Das Dach ist löchrig, der Putz großflächig abgeplatzt, Türen und Fenster sind mit Brettern vernagelt, Veranda und Freitreppen marode und drohen einzustürzen.

Dieser Anblick bietet sich Graf und Gräfin Hahn von Burgsdorff, als sie im Januar 1990 das uckermärkische Dorf Blankensee besuchen und vor dem Schloss stehen, das vom Urgroßvater der Gräfin, Friedmund von Arnim, rund 130 Jahre zuvor erbaut wurde und bis 1945 der Familie gehört.

Clemens und Victoria Graf und Gräfin Hahn von Burgsdorff Botho und Saskia Graf und Gräfin Hahn von Burgsdorff und die Kinder Xenia, Fedor, Rubina und Annafee

Victoria Gräfin Hahn, geborene von Arnim, ist zwei Jahre alt, als ihre Eltern 1945 enteignet und ausgewiesen werden. Die Mutter erzählt später von einem „schreienden Bündel“, das nicht begreift, warum es sein Zuhause verliert und versteckt den eigenen Schmerz hinter der Erinnerung an die weinende Tochter. Wenig können sie bei ihrer Vertreibung mitnehmen. Hausrat, Möbel, Bücher und Kunstwerke bleiben im Schloss und gehen verloren. Das, was die von Arnims retten können und noch von Wert ist, wird später gegen Nahrungsmittel eingetauscht oder verkauft. Nur zwei Bilder bleiben im Familienbesitz. Es sind die Porträts von Victorias Vater Ludwig Achim von Arnim und dem Großvater Achim von Arnim, einem Diplomaten aus der Kaiserzeit.

Doch die Mutter will den endgültigen Abschied nicht hinnehmen. Noch lebt Victorias Großmutter in Ahrensdorf in der Nähe von Templin. Bei ihr mieten sich beide ein. Da die Großmutter weniger als 100 Hektar besitzt, wird sie nicht enteignet und darf in Ahrensdorf bleiben. Victoria verlebt dort die Sommer und wird 1950 sogar in Templin eingeschult. Den ersten Unterricht in Schreiben, Lesen und Rechnen bekommt sie in der DDR und ihr Langzeitgedächtnis fördert zuverlässig noch immer die erste Strophe eines Gedichtes aus jener Zeit zutage:

Mein Bruder ist ein Traktorist, in einem Dorf in Sachsen; er leistet, was nur möglich ist, damit die Halme wachsen...“.

In der letzten Strophe kämpft der Traktor fahrende Bruder für den Frieden und wird ein „Aktivist“ und damit zum propagandistischen Vorbild für jeden Erstklässler in der jungen DDR. Als die Großmutter 1950 stirbt, ist die Mutter rechtmäßige Erbin und will Land und Haus übernehmen. Es ist nicht möglich. Mehrmals wird sie bei ihren Fahrten von West-Berlin nach Templin aus dem Zug geholt, festgehalten und befragt. Sie gibt auf. Auch dieses Land wird enteignet, den Grund und Boden bekommt die LPG. Die Familie von Arnim verlässt West-Berlin, geht zunächst nach Schleswig-Holstein, später nach Bonn. Bis zum Mauerfall werden weder Victoria noch ihre Eltern die alte Heimat besuchen.

Mit dem Mauerfall ändert sich auch im Leben der Familie von Graf und Gräfin Hahn alles. Den ersten emotionalen Begegnungen mit den Stätten ihrer Kindheit folgen nüchterne Bestandsaufnahmen. Weder Haus noch Land werden rückübertragen, ein Neubeginn wird Zeit, Geduld und vor allem Geld kosten. Das Paar ist realistisch genug zu erkennen, dass sie vor einer Lebensaufgabe stehen, die sie nur mit Hilfe der nächsten Generation bewältigen können. Der Zufall – oder das Schicksal – will es, dass der älteste Sohn Botho, der gerade sein Abitur gemacht hat, noch unschlüssig ist, welchen Berufsweg er einschlagen will. Von seiner Entscheidung hängt ab, ob die Familie sich auf das Abenteuer einlässt oder nicht.

Alle vier Kinder – die Töchter Annafee, Xenia und Rubina und Sohn Fedor – kommen in Templin zur Welt und gehen in Gerswalde zur Schule. So normal wie möglich sollen sie aufwachsen und im Dorf integriert sein. Eines Tages, so wünschen sich die Eltern, wird eines der Kinder hoffentlich den wieder aufgebauten Betrieb übernehmen und die familiäre Tradition fortsetzen.

Was der Generation von Saskia und Botho fehlt und auch nicht nachgeholt werden kann, ist der ungezwungene Umgang der Nachbarn miteinander, der dörfliches Leben prägt und ausmacht. Da sie nicht in Brandenburg geboren und aufgewachsen sind, bleiben sie für manche die Fremden, Graf und Gräfin, die aus dem Westen kamen und nun im Schloss wohnen. Die Prägung und Erziehung von 40 Jahren DDR sind auch 23 Jahre nach dem Mauerfall noch zu spüren. Doch unbeirrt freundlich baut Saskia nachbarschaftliche Kontakte auf, knüpft Netzwerke und findet Verbündete für ihre Ideen.

Ernte in der Uckermark. Foto: Oliver Mark

Ernte in der Uckermark. Foto: Oliver Mark

Vor die Wahl gestellt, die alte Ölmühle abzureißen oder dem Backsteinbau eine neue Bestimmung zu geben, haben sich Saskia und Botho entschieden, daraus ein familienfreundliches Heu-Hotel zu machen. Darin soll es neben den Gästezimmern auch eine Kaminhalle für Feste und Veranstaltungen geben, einen Hofladen, in dem eigene und regionale Produkte angeboten werden und ein kleines Café im angrenzenden Kirchgarten.



Auszüge aus dem Begleitbuch zur Ausstellung: Heimat verpflichtet

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Kommentare

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Zu der Chronik von Blankensee gehört auch die Tatsache, dass die erste Frau  des Ludwig Achim von Arnim, meine unvergessliche Freundin Else von Arnim geb. von Simson, deren beträchtliche Mitgift zur Sanierung und Modernisierung von Schloss und Gut  Blankensee eingesetzt worden war, im Dritten Reich als Nichtarierin zur Scheidung genötigt wurde; andernfalls hätte man ihren Mann aus dem arnimschen Familienverband ausgeschlossen, so wurde berichtet.

Sie willigte des gemeinsamen Sohnes Ernst Erdmann wegen ein und überlebte den Krieg im Golfhaus der Familie in Wannsee.

1945 erlebte sie die skurrile Situation, dass unter der sowjetischen Besatzung sie mit ihrem alten Verwalter noch eine Ernte einfahren durfte, da man sie als die eigentliche Gutsherrin, die unrechtmässig aus dem mit ihrem Vermögen erhaltenen Gut entfernt worden war, ansah. Dies blieb allerdings Episode, da kurz darauf alle grossen Landvermögen in der Bodenreform enteignet wurden.

Der Name Else von Arnims geb. von Simson ( 1907 bis 2007 ) sollte im Zusammenhang mit Blankensee, für dessen Bewohner sie soviel Energie und Herz eingesetzt hatte, nicht in Vergessenheit geraten. Zum Glück für Ihren Sohn, ihre Familie und die von ihr treu  gepflegten Freundschaften war ihr eine Lebensspanne von einem Jahrhundert geschenkt. Ich werde diesen anständigen Menschen nie vergessen.

Maria Dietl-Beissel. Gutshaus Grossjena bei Naumburg an der Saale.

Sehr geehrte Frau Dietl-Beissel,

vielen Dank für Ihren ergänzenden Beitrag zur Familiengeschichte der von Arnims aus Blankensee. Wir freuen uns über die vielen aufmerksamen Kommentare und die große Resonanz auf das Buch „Heimat verpflichtet“, das unsere gleichnamige Ausstellung hier in Potsdam ergänzt.

Nicht allein bei dem Beitrag „Ein Schloss für drei Generationen“ bestand die Kunst der Autorin der Interviews im Weglassen. Die allermeisten der beschriebenen Familien haben eine lange, Jahrhunderte umfassende Geschichte. Die Stammbäume weisen zum Teil Verästelungen in alle Himmelsrichtungen auf. Da steht man stets vor der Frage: wo anfangen, wo aufhören, welche Geschichte erzählen, welche weglassen? Insofern gäbe es noch viel Berichtenswertes, auch über die Familie von Arnim und das Schloss Blankensee. Sie können sicher sein, dass wir uns die Auswahl nicht leicht gemacht haben. Dessen ungeachtet werden wir bei einer Nachauflage der Publikation prüfen, ob Ihre Ergänzung Eingang in den Text finden kann.

Nochmals Dank für Ihre Wortmeldung.

Kannte bisher die Else von Arnim nicht ,kam zufällig auf diese Seite .
Bin in der Uckermark aufgewachsen u. möchte mehr über diese Jüdin erfahren.
"Wo ...,wo ...? "---nicht die Else weglassen !
Grüße aus Berlin
Herbert Pöppel

Sehr geehrter Herr Pöppel,
Gerne können Sie uns in der Uckermark besuchen. Meine Mutter wird Ihnen gerne Rede und Antwort geben über Else v. Arnim. Wenn Sie in der Region auf Heimatbesuch sind besuchen Sie uns einfach. Viele Grüsse aus Blankensee (www.gut-blankensee.de)
Botho. Hahn
p.s.:Der Sohn von Else v. Arnim war mein Patenonkel

Hallo Herr Hahn ,
werde mich gerne mit Ihrer Mutter unterhalten .
Müssen einen Termin ausmachen .
Bin 1941 in Ostpreußen geboren , Flucht vom 19.01. 1945 Insterburg - 8.10. 1945 Angermünde .
Grüße aus Berlin
Herbert Pöppel

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