Brandenburg hatte man mal vorausgesagt, dass die Dörfer ganz schnell sterben werden. Inzwischen sind die Sorgen bei den Städten größer. In den kleinen Orten dagegen gibt es frischen Wind.
Über Brandenburg wird gesagt, dass die vielen kleinen Dörfer bald sterben, weil nicht genügend Junge dort wohnen wollen und sich um die Alten keiner kümmern mag. Die Kreisgebietsreform sollte es richten, ist dann aber selbst gerichtet worden.
Lette und ich sitzen in Hobrechtsfelde in James Biergarten mit Biolimonade bei 32 Grad im Schatten. In Hobrechtsfelde hat es früher sehr gestunken. Hier, am Nordrand Berlins, waren lange Jahre die Rieselfelder von Berlin. Hier wurde also die Scheiße der Hauptstadt ausgekippt, wie es Frau Ragow drastisch erklärte. Es hatte aber auch etwas Gutes: Was auf den Rieselfeldern verrottete, wurde zum Gemüseanbau verwendet. Wenn die Berliner also viel auf dem Klo waren, gab es bald frische Tomaten aus Brandenburg.
Heute gibt es keine Rieselfelder mehr und die Tomaten in der Hauptstadt kommen mehrheitlich aus Holland und Spanien. Hobrechtsfelde macht heute vor allen den Brandenburger Demographen Mut. Denn neben den Rindern und wilden Pferden, die über das Weideland der ehemaligen Abfallfelder ziehen, gefällt es hier auch immer mehr Menschen.
Gleich neben James Biergarten, benannt nach dem Ortsgründer von 1908, steht ein vollständig ausgebuchter Montessori Waldkindergarten und in jedem Vorgarten gibt es einen kleinen Spielplatz. In dem kleinen Dorf, das amtlich nur ein „Wohnplatz“ von Zepernick ist, leuchtet alles frisch saniert und die Menschen scheinen glücklich.
Es war einmal die Bremer Höhe...
Hobrechtsfelde ist eine bemerkenswerte Nachwendegeschichte. Sie fängt mit "Es war einmal die Bremer Höhe..." an. Die war früher mal Teil der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg in Berlin. Eigentlich waren es 380 Frauen und Männer, die eine Genossenschaft gründeten und damit ihre Wohnungen in der Schönhauser Allee der Hauptstadt vor privaten Investoren retteten. Danach kaufte die Genossenschaft, quasi als Investition in die Zukunft, das kleine Hobrechtsfelde 2010 für eine Million Euro und sanierte es für die Dorfbewohner. Die bezahlen weiterhin aus Berliner Sicht Traummieten (5 Euro kalt) und genießen jetzt die frische Luft.
Bei Alwine am Südende von Brandenburg läuft es nicht so gut. Erst kauften zwei Brüder das ziemlich verfallene Mini-Dorf mit 15 Einwohnern von der Treuhand und ließen es konsequent weiter verfallen. Die Mieten der Bewohner der knapp zehn Häuser reichten ja als Einnahme. Dann wurde das ganze Dorf samt Einwohnern 2017 zwangsversteigert, für 140.000 Euro. Ein Berliner Kaufmann, den bis heute keiner kennt, besichtigte das Dorf erst nach dem Kauf, kriegte einen Schreck und erklärte sich für insolvent.
Eine Waage, die um die Ecke messen kann
Es gab viel Presse, sogar international, und die 15 Leute wunderten sich, was über sie so alles geschrieben wurde. Nach dem insolventen Berliner tauchte ein neuer Investor auf, wieder aus Berlin. Der will aus Alwine, das ursprünglich mal eine Siedlung am Rande des Braunkohletagebaus war, jetzt ein Erfinderdorf machen. Dazu brachte er zwei in Berlin lebende Österreicher mit, die in der Hauptstadt einen „Erfinderladen“ haben und dort eine Wasserwaage verkaufen, die um die Ecke misst. Das ist in Alwine eher unpraktisch, denn dort gibt es nur eine Straße und die macht einen Bogen und keine Ecke. Aber die Presse war wieder aufgeregt und fragte nach, was die Alwiner jetzt erfinden könnten. Einer der Einwohner, Herr Urbanek, erklärte der Presse: „Ich habe noch nichts erfunden. Ich habe nur meine Nachbarin, Erika Kühne, gefunden. Mit der verstehe ich mich sehr gut. Aber sonst sind die Dächer immer noch undicht. Auch bei meiner Nachbarin. Aber immerhin sollen wir jetzt Internet bekommen.“
Brandenburg hatte man mal vorausgesagt, dass die Dörfer ganz schnell sterben werden. Inzwischen sind die Sorgen bei den Städten größer. Lette holt nochmal Zitronenlimonade. Dann denken wir weiter über die Brandenburger Dörfer nach. Es gibt Brodowin, Kolzenburg, Neuehütten, Siethen, Nennhausen, Goßmar, Preschen und, und, und… Wir kommen ins Märkern und zu den Rittern, die einst Burgen, Schlösser und Häuser hier bauen ließen, allerlei Dorfbewohner und ihr Burgfräulein ansiedelten.
Heute sind es ganz moderne Burgfräulein, die oft Schwung in die kleinen Orte in Brandenburg bringen. Wie in Schönfelde bei Steinhöfel. Da gibt es sowieso schon mehr Frauen als Männer, auch in der Feuerwehr, und während die 84 Männer das Dorf sauber machen, üben die 95 Frauen im Chor im neuen Gemeindehauses. Das wurde saniert, weil die Dorfvorsteherin von Schönfelde es so wollte, eine tatkräftige Rittersfrau eben.
Schönfelde ist vermutlich so knapp 1.000 Jahre alt. Wie die meisten Brandenburger Dörfer. So schnell sind die alten Ritter nicht totzukriegen, würde Frau Ragow sagen.

Wegen Kunst am Leben und im Beruf ist Theresa nach Berlin gezogen. Dort arbeitet sie, wohnt aber in Brandenburg. Am Anfang hat sie gedacht, das kann nur eine Notlösung sein, denn alle wollen doch nach Berlin, niemand aber nach Brandenburg. Inzwischen sieht sie das anders. Brandenburg ist ganz anders als Berlin, wo jeder sich jeden Tag bloß neu erfindet. Brandenburg ist einfach und manchmal furchtbar kompliziert. Warum ist das so? Hier schreibt sie es auf.
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