Andreas Speit über Reichsbürger

„Reichsregierungen“ und „Reichsbürger“ behaupten, die Bundesrepublik habe nie existiert oder sei im Zuge der Wiedervereinigung verschwunden. Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit hat die Ideologie und die Akteure der verschiedenen Gruppen untersucht.

Ausschnitt aus dem Buchcover "Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr"

Was sind Reichsbürger und warum heißen sie Selbstverwalter?

In Deutschland werden rund 19.000 Menschen (Stand: 2019) zu den sogenannten Reichsbürgern gerechnet. Diese Bewegung ist durch sehr unterschiedliche Akteure geprägt. Sie alle eint die Ideologie, dass ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1871, 1918 oder 1933 weiter bestehen würde. Nach dieser Logik ist die Bundesrepublik für sie kein völkerrechtlich anerkannter Staat, sondern ein Konstrukt der Alliierten, das nicht souverän ist. Reichsbürger sprechen daher auch häufig von der „Firma BRD GmbH“.

Selbstverwalter ist eine Eigenbezeichnung und beschreibt ein Selbstverständnis, wonach sie als „souveräne Menschen“ nur für sich und ihre Angelegenheiten verantwortlich sind. Aus diesem Verständnis heraus gründen sie unabhängige Reiche – in Brandenburg etwa das Fürstentum Germania – oder „Staaten“. Viele Anhänger bezeichnen sich selbst jedoch gar nicht als Reichsbürger, sondern als Systemkritiker. Reichsbürger ist für sie eine Fremdbezeichnung, die ihnen von ihren Gegner angeheftet wird.
 

Andreas Speith. Foto: privat

Andreas Speit

ist Rechtsextremismus-Experte und Herausgeber des Buches "Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr".

Das Buch kann bei uns bestellt werden.
 

Wo verorten Sie die Gruppe politisch?

Es gibt eine große Gemengelage an politischen und persönlichen Gründen, wieso sich jemand der Bewegung zugehörig fühlt. Es ist eine krude Mischung aus fanatischen Theorien mit Kapitalismuskritik, allgemeiner Paranoia und Kummer darüber, dass die globalisierte Welt schlecht und hässlich ist. Dazu kommt die diffuse, aber tief empfundene Überzeugung, dass Deutschland einer Verschwörung geheimer, bösartiger Mächte zum Opfer gefallen sei.

Das Bundesinnenministerium ordnete im September 2017 etwa 900 Anhänger der extremen rechten Szene zu. Einige Anhänger sind zur äußersten Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen bereit. Von 750 Gewalttaten, die das Bundeskriminalamt zwischen 2016 und 2017 registrierte, richteten sich über 700 Taten gegen Mitarbeiter von Behörden. Nicht alle Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten hängen aber einer geschlossenen, extrem rechten Ideologie an.


Kann man von einem Reichsbürger-Netzwerk sprechen? Wie kommunizieren sie miteinander?

Die Bewegung ist sehr stark zersplittert. Diverse Bündnisse rivalisieren miteinander oder formieren sich immer wieder neu, es entstehen immer wieder neue vermeintliche Königreiche, Freistaaten und Fürstentümer. Dazu kommt eine unüberschaubare Zahl Einzelner, die ihre Unabhängigkeit als Selbstverwalter erklären. Eine übergreifende Zusammenarbeit scheitert fast immer am persönlichen Geltungsbedürfnis oder an kleinteiligen Streitereien und Rivalitäten. Im Internet, über Foren und eigene Plattformen oder eigenen Video-Kanälen erfolgt ein Großteil der Kommunikation. Es gibt aber auch immer wieder größere Treffen oder gemeinsame Feste, bei denen Reichsbürger den Kontakt zueinander suchen. Auch in der AfD oder in der Pegida-Bewegung suchen Reichsbürger Aktionsräume.


In Brandenburg ist die Gruppe der Reichsbürger genauer untersucht worden. Was macht diese Gruppe aus?

Hier hat Dirk Wilking mit seinem Handbuch über die Reichsbürger Pionierarbeit geleistet. Besonders im ländlichen und kleinstädtischen Raum hat er einen Nährboden für die Reichsbürger-Ideologie ausgemacht, weil hier eine starke Zivilgesellschaft fehlt und politische Parteien und der Staat diese Gegenden praktisch aufgegeben haben. Die Mitglieder ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten vom Arbeiter bis zu etablierten Wissenschaftlern. In Bayern gehörten sogar Polizeibeamte dazu, in Schleswig-Holstein ein Waldorfschullehrer. Rund 20 Prozent der Reichsbürger-Anhänger in Brandenburg sind weiblich und 80 Prozent männlich. Bundesweit ist es nicht viel anders.

Das Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. Der Anteil alleinstehender, sozial isolierter Personen ohne Arbeit oder im Ruhestand scheint dabei deutlich erhöht. Am Anfang stehen oft Fragen, auf die sie vermeintlich keine Antworten mehr finden. Im Internet treffen sie dann auf Gleichgesinnte und kommen in einen Ideenaustausch. Klassische Medien und Berichterstattungen werden ignoriert, als manipuliert betrachtet und so leben die Personen in ihren eigenen Welten.

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Worin sehen Sie die Gefahr, die von Reichsbürgern ausgeht?

Die unmittelbarste Gefahr besteht natürlich, wenn Personen direkt angegriffen werden. Der Tod des Polizisten in Georgensgmünd ist das bisher heftigste und tragischste Beispiel für die Gewaltbereitschaft einiger Reichsbürger. Die von Reichsbürgern ausgehende Gefahr wurde lange Zeit unterschätzt. Schon 2012 wurden Briefe an Moscheen und jüdische Gemeinden verschickt in denen mit standrechtlicher Erschießung gedroht wurde, sollte der Forderung auf Ausreise nicht nachgekommen werden. Damals noch als Spinnerei abgetan, verdichten sich nun die Hinweise, dass die Reichsbürger nicht beim „Papierterrorismus“ stehen bleiben. Behördenmitarbeiten wurden in den vergangenen Jahren wiederholt verbal und körperlich angegriffen. Ob jemand gewalttätig wird oder nicht, ist schwer abzusehen. 70 Prozent der polizeibekannten Anhänger der Reichsbürgerbewegung waren zuvor strafrechtlich nicht aufgefallen. Eine Gefahr sehe ich aber auch darin, dass Reichsbürger versuchen, demokratische Systeme zu infiltrieren, etwa indem sie sich als Schöffen zur Verfügung stellen.
 

Gibt es Reichsbürger nur in Deutschland?

Nein, im gesamten deutschsprachigen Raum wie in Österreich oder der Schweiz gibt es Anhänger der Idee einer Verschwörung gegen die Deutschen, gegen ihre Reiche. In Kanada, den USA, Australien und Neuseeland gibt es ähnliche Strukturen die ihre Staaten nicht als Staaten anerkennen, in Folge dessen auch die Rechtsautorität nicht wahrhaben wollen. In den USA verwischen da auch die Grenzen zwischen den Free-Mann-Bewegten und rechten Privat-Milizen.
 

Wie kann man mit Reichsbürgern ins Gespräch kommen? Wie sollte man ihnen begegnen?

Ein Dialog auf Augenhöhe ist meist sehr schwierig. Die meisten Vertreter der Szene lehnen es ab, mit Journalisten zureden, da ihrer Meinung nach keine Pressefreiheit besteht. Die Konstruktion einer vermeintlichen Verschwörung, die sich gegen Deutschland und die Deutschen richtet, führt zu einer Art Selbstüberhöhung. Sie fühlen sich einer auserwählten Gruppe zugehörig, die glaubt, als einzige die Wahrheit zu erkennen. Das macht das Diskutieren sehr schwer. Da die Bewegung die politische Auseinandersetzung allerdings sucht, sollten auch ihre politischen Intentionen bekannt sein, um ihnen offensiv begegnen zu können. Informationen sind hier besonders entscheidend.

Und noch ein praktisches Beispiel: In Schleswig Holstein hatte das Innenministerium eine kreative Verwaltungsidee. Wenn Reichsbürger ihre noch gültigen bundesdeutschen Pässe oder Personalausweise als Zeichen des Protests abgeben wollten, haben sie für die Verwahrung eine Gebühr von 5 Euro pro Tag eingeführt. Knapp 70 Prozent der Abgabewilligen nahmen ihre Dokumente daraufhin wieder mit.


Wie schätzen Sie das Potential der Bewegung ein?

Ob die Bewegung weitere Anhänger gewinnt, hängt auch davon ab inwieweit unsere Gesellschaft die Menschen erreicht bevor sie diesen Weg einschlagen. Die Reichsideologien mit ihren Verschwörungskonzepten sind auch eine Reaktion auf die bestehende Verfasstheit einer Gesellschaft und ihres Umgangenes mit Sorgen und Ängsten. Das Alter der Anhänger der Bewegung legt nahe, das insbesondere Schützenvereine, Jagdgesellschaften, Freiwillige Feuerwehren und lokale Vereinen Gesprächsangeboten für Reichsidee-Bewegte schaffen sollten. Staatliche Repression alleine kann einzelne Reichsideologie-Anhänger ausbremsen, die Bewegung aber auch radikalisieren. Prävention- und Dialog-Konzepte scheinen jedoch erst langsam bundesweit überlegt zu werden.

Lesetipp

BLPB, April 2018

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Kommentare

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Da die Reichsbürger die Bundesrepublik nich anerkennen und ihren illegalen " Staat " in der selben gründen begehen sie nach meiner Ansicht ständig Straftaten. Woher bekommen sie ihren Unterhalt, sie grenzen Ihren Lebens und Wohnbereich drastisch ab gehen aber unbehelligt in der Gegend spazieren, einkaufen uvm . Das ist illegaler Grenzübertritt , etliche beziehen sogar Harz 4 wie geht das ? Sie haben gefälschte Papiere haben Grundstücke, Autos, Eigentum , Kredite oder gehen regulär und unerkannt arbeiten mit welchem Recht und mit welchen Papieren? Da die " Reichsbürger" eine selbsternannte Ordnung pflegen ,unsere Gesetze nicht anerkennen stimme ich für Abschiebung dieser Personen.

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