Eine Ausstellung im Haus der Landeszentrale in Potsdam zeigt Bilder aus der Ukraine vom Leben der Menschen vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 und danach. Was kann Fotografie bei der Vermittlung von Politik und Zeitgeschichte leisten? Darüber haben mit David Rojkowski, einem der Ausstellungsmacher, gesprochen.
In der aktuellen Ausstellung sind Bilder von 14 Fotografinnen und Fotografen zu sehen. Warum?
Das ist wie ein Kaleidoskop. Das sind so viele unterschiedliche Blickwinkel und Motive. Die Fotografinnen und Fotografen sind damals zu ganz unterschiedlichen Zwecken in die Ukraine gefahren. Die einen wollten die Umweltverschmutzung recherchieren, also noch lange vor dem Krieg. Andere wollten über die Fußball-EM 2012 berichten oder über ganz kleine Geschichten, die irgendwie persönlich sind. Und daraus haben wir bei der Auswahl der Fotos geschöpft.
Es ist für mich dieses Bild eines Mosaiks, das so wichtig ist. Es besteht aus ganz vielen unterschiedlichen kleinen Bausteinen, die aber, wenn man ein paar Schritte zurückgeht, ein großes, ganzes Bild ergeben, das sehr vielschichtig ist.
Worin besteht das Besondere dieser Ausstellung?
In einem größeren Team haben wir die Idee für eine Outdoor-Ausstellung entwickelt, die dann zuerst 2022 in Hamburg gezeigt wurde. Damals war die Bereitschaft in der Gesellschaft, irgendwas zu tun, so groß, dass wir das ganze Projekt innerhalb von zwei Monaten gestemmt haben. Solche Sachen, wie die Genehmigung, draußen wochenlang eine Ausstellung zu zeigen, was normalerweise Monate dauert, bekamen wir innerhalb von ein, zwei Wochen.
David Rojkowski ist Soziologe und Fotograf sowie Redakteur des Magazins „Leica Fotografie International (LFI)“. Er arbeitet als freier Kurator. Für die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung kuratierte er die Foto-Ausstellung „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006-2023“.
Wonach wählen Sie die Bilder aus?
Man muss sich entscheiden, was man erzählen möchte. Ich persönlich glaube nicht an so etwas wie Objektivität. Das ist immer eine Erzählung, die man hat. Die Herausforderung war, eine Erzählung zu gestalten, die möglichst nah an der Realität ist, möglichst nah an dem, was die Fotografinnen und Fotografen erlebt haben. Man musste Konsens finden. Wie gehen wir zum Beispiel mit Fotos mit toten Menschen um? Wie gehen wir mit Fotos mit Gewaltszenen um? Letztendlich waren wir uns einig, dass wir auf drastische Bilder verzichten.
Wie prüfen Sie die Verlässlichkeit der Bilder?
Ich verwende nur Sachen, zu denen die Informationen gesichert sind. Damit ich nicht in eine Situation komme, in der jemand in eine Ausstellung geht und ein Foto sieht und sagt: Moment, aber diese Situation ist komplett aus einem anderen Kontext. Das stimmt so nicht. Deswegen spielt der Prozess der Überprüfung in den Ausstellungen, die ich gemacht habe, eine große Rolle. Wie ich schon erwähnt habe, glaube ich jedoch nicht an Objektivität. Die Geschichte, die man erzählt, muss aber ausgewogen sein. Es ist natürlich ein schmaler Grat. Das hatten wir auch bei den Sitzungen des Kuratoren-Teams.
Wo ist die Grenze zwischen Reportage, zwischen Propaganda, zwischen Dokumentation? Das auszubalancieren und auch klarzumachen, dass es eben keine Propaganda-Ausstellung ist, dass es den Fotografinnen, Fotografen ein Herzensanliegen ist, diese Fotos zu zeigen, dass sie ihr Leben riskieren, da hinfahren und uns diese Bilder bringen und wir sie dann nicht in einem falschen Kontext zeigen - das ist mir wichtig.
Warum verwenden Sie bei geografischen Bezeichnungen wie Kyjiw, Krym oder Odesa die ukrainische und nicht die uns bekanntere russische Schreibweise?
Ja, das ist interessant. Eigentlich war das nur ein kleines redaktionelles Detail, das der ukrainischen Übersetzerin aufgefallen ist und die hat uns darauf aufmerksam gemacht und wir haben uns dann genauer damit auseinandergesetzt. Und aus diesem kleinen redaktionellen Detail ist eigentlich ein politisches Statement geworden. Es ist uns wichtig gewesen, ein bestimmtes Bewusstsein im deutschen Publikum zu wecken. Bewusstsein, dass es einen Unterschied zwischen dem Russischen und dem Ukrainischen gibt, dass es überhaupt zwei Sprachen gibt, was wahrscheinlich vielen nicht bewusst ist.
„Wenn ein politisches Bewusstsein in einer Gesellschaft vorhanden ist, kann es auch dazu führen, dass eine einzelne Fotografie zum Beispiel auch politische Entscheidungen beschleunigen kann.“ David Rojkowski
Was kann Fotografie leisten?
Ich habe Fotografie studiert und ich arbeite für ein Foto-Magazin. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Fotografie lange nicht so viel kann, wie wir vielleicht vermuten. Fotografie ist in meinen Augen ein Medium, das bestimmte Inhalte transportieren kann. Und wenn sie gut gemacht ist, dann kann sie das oft besser als andere, nicht-visuelle Medien. Dann kann sie etwas vermitteln, was vielleicht Dokumente oder so nicht können, weil sie auch mit Emotionen spielt und Emotionen dazu beitragen können, dass man sich mit einem Thema tiefer befassen und es besser aufnehmen kann.
Aber sie hat auch eine beschränkte Wirkung, weil Fotografien eigentlich immer einen Kontext brauchen, in dem sie präsentiert werden, und einen Text. Ein Bild ohne einen Text funktioniert in der Regel nicht. Deswegen muss man bei Fotografie aufpassen, dass man sich nicht manipulieren lässt. Man muss immer gucken, woher kommt das Bild? Wer hat die Bildunterschrift verfasst und was soll sie bewirken?
Welche Macht haben Bilder bei der Vermittlung von Zeitgeschichte und Politik?
Ich denke, dass man Fotografien nicht zu viel zutrauen kann. Eine Fotografie kann einen Krieg nicht beenden. Aber sie kann eine gewisse Kraft in der Gesellschaft freisetzen. Und wenn ein politisches Bewusstsein in einer Gesellschaft vorhanden ist, kann es auch dazu führen, dass eine einzelne Fotografie zum Beispiel auch politische Entscheidungen beschleunigen kann. Das haben wir vor 50 Jahren in den USA gesehen, als das Bild von dem "Napalm-Mädchen" von Nikud im Kontext des Vietnamkrieges erschienen ist.
Dieses Bild hat sehr viel bewegt, aber nicht nur aufgrund des Inhaltes, sondern diese Stimmung in der Gesellschaft war schon da. Es diente einfach nur als Beschleuniger. Und diese Kraft will ich den Bildern nicht absprechen, aber sie brauchen eben diesen Kontext.
Welche Macht wünschen Sie sich von den Bildern der Ukraine-Ausstellung?
Ich wünsche mir, dass die Ausstellung dazu beiträgt, die Hilfsbereitschaft für die Ukraine aufrecht zu erhalten und dass die Solidarität für die nach Deutschland geflohenen Menschen aus der Ukraine weiterhin stark bleibt und vielleicht, dass die Ausstellung sie auch stärken kann.
Und ich wünsche mir, dass, wenn ich als Kurator die nächste Ergänzung in der Ausstellung machen würde, dass diese Ergänzung den Frieden zum Thema hat.
Anm. d. Red.: Das Gespräch mit David Rojkowski haben wir im Rahmen unserer Ausstellung „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006-2023" aufgezeichnet. Für die schriftliche Form wurden die Fragen und Antworten redaktionell bearbeitet und gekürzt. Es gilt das gesprochene Wort. Den vollständigen Wortlaut hören Sie in unserem Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft".
Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft"
BLPB, Juni 2023
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