Ehrenamt und Eigennutz

Der erste Tag der Einführungswoche an der Uni ist mir noch immer genau im Gedächtnis. Eine der ersten Empfehlungen, die uns die Dozentin damals gab, war Folgende: „Engagiert Euch! Werdet Mitglied im Fachschaftsrat. Arbeitet ehrenamtlich und zeigt Euren Willen, Euch an der Gesellschaft aktiv beteiligen zu wollen. Denn das macht sich immer gut im Lebenslauf und wird Euch bei Bewerbungen von Vorteil sein.“

Stopp, hatte ich das richtig verstanden? Ich sollte mich an der Gesellschaft aus purem Eigennutz beteiligen? Ehrenamt war für mich bis dahin vor allem mit Ehre verbunden, mit Idealen und damit auch einer gewissen Selbstlosigkeit. Als Politikstudentin wurde mir dann klar, dass ehrenamtliches Engagement und Bürgerbeteiligung immer auch etwas mit dem Verhältnis von Bürgern zum Staat, zur Politik und zu Politikern zu tun hat.

Eine aktive Bürgerteilnahme wird von Politikern immer dann besonders gefordert, wenn Lücken in der staatlichen Versorgung entstehen. Dann heißt es, die regulierende und lenkende Funktion des Staates tritt zugunsten einer größeren Aktionsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern zurück. Ein Beispiel: Steuersenkungen unter Bundeskanzler Schröder für Unternehmen und Privatpersonen gingen einher mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsteile. Weitere Folgen entstanden für die Kommunen, denen die Finanzen fehlten, um das kulturelle Angebot in Form von Museen, Büchereien und Parks am Leben zu halten. Jetzt wurde also die aktive Bürgerteilnahme eingefordert. Die so genannte größere Aktionsfreiheit gestaltete sich dann für die etwa 23 Millionen engagierten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland etwa so, dass sie zusammen 4,6 Milliarden Arbeitsstunden ableisteten. Und dann hat das Wort Ehre offiziell auch wieder Konjunktur. Für die geleistete Arbeit danken Bundespräsident und Bundeskanzlerin in Neujahrsansprachen. Es gibt Ehrenamtskarten, Ehrenamtsnachweise oder den Titel „Ehrenamt des Monats“.

Der gegenwärtige politische Appell ans Ehrenamt ist somit immer auch eine Fehlbestandsanzeige des Staates. Das belegen beispielsweise die zahlreichen Aufrufe von Flüchtlingsinitiativen, die um Helfer werben oder der Pflegebereich, der durch den Wegfall des Zivildienstes nun auf Freiwillige hoffen muss. Diese Art des Engagements ist von der Politik ausdrücklich erwünscht. Was passiert aber, wenn die Bürger ihrerseits Fehlbestand anmelden, fehlende Möglichkeiten der Beteiligung zum Beispiel?

Betrachtet man die eher dürftigen Erfolge vorangegangener Bürger- und Volksinitiativen im Land Brandenburg, gewinnt man den Eindruck, dass direkte Demokratie eben doch nicht so sehr gewünscht ist, wie es einem die Politik suggeriert.

Da wäre zum einen die brandenburgische Volksinitiative gegen Massentierhaltung, welche nun schon zum zweiten Mal von der Regierungskoalition abgelehnt wurde. Etwa 34.000 Brandenburger hatten zuvor für eine Neuausrichtung der Tierhaltung und Landwirtschaft unterschrieben. Der Wille des Volkes wog in diesem Falle weniger als die mächtige Stimme der Agrarlobby. Oder aber die Bürgerinitiative „Landschaft ohne Folie“ aus Lönow, die für das Aussterben von 21 Brutvogelarten in der Region größtenteils das Abdecken von Spargelfeldern mit Folien verantwortlich macht - sie erhält eine eher nüchterne Antwort vom Umweltministerium. Bisher bestehe keine bemerkbare Beeinträchtigung der Flora und Fauna durch das Plastik.

Welches Signal wird dem Bürger mit solch einer Beantwortung durch die Politik gesendet? Erstaunlicherweise lassen sich die Brandenburger dadurch nicht entmutigen. Im Gegenteil, immer mehr von ihnen schließen sich Bürgerinitiativen an. Ich bewundere die Initiatoren, die doch so viel freie Zeit in ihr Herzensanliegen stecken, große bürokratische Hürden überwinden müssen und zuletzt nicht demotiviert werden dürfen, wenn wieder einmal eine Bürgerinitiative zu scheitern droht.

Dass es natürlich auch anders geht, zeigte die Bürgerinitiative „Mitteschön“, die einen erheblichen Anteil an der Gestaltung des neuen Landtages in Potsdam trägt. Oder aber ganz aktuell die Bürgerinitiative eines Oberhavelers, der gegen die ungleiche Kostenverteilung der Kitabetreuung vorgehen möchte. Zwei Wochen nach Beginn der Online-Petition für kostenfreie Kitaplätze gab es schon mehr als 10.000 Unterstützer. Nun bleibt es abzuwarten, wie die Politik antwortet. Bildungsminister Baaske erwähnte schon einmal vorsichtig, dass es sich in der Theorie ganz toll anhöre, das Vorhaben aber auch bezahlt werden müsse. Jetzt schon ein böses Omen?

Um also wirklich etwas bewegen zu können, so scheint es mir, muss man als Bürger an den richtigen Schaltstellen sitzen. Stephane Hessel*, der die Bürger bis zuletzt dazu aufrief, sich zu empören, fand, dass das Engagement in einer Partei dafür der richtige Platz sei.
 

Es macht vielleicht Spaß, auf die Straße zu gehen, aber um nützlich zu sein, um etwas zu erreichen, muss man in unserer Demokratie in Parteien mitarbeiten.“ 

Doch selbst ich als angehende Politikwissenschaftlerin möchte nicht – zumindest momentan – Mitglied einer Partei sein, mit deren Grundsätzen ich nicht nicht völlig konform bin.  Geschweige denn würde ich die Karriere einer Berufspolitikerin einschlagen. Ich glaube aber an die Stärken der direkten Demokratie und hoffe, dass die Politiker, die ja auch Bürger sind, wieder anfangen zu verstehen, dass ihnen ihre Position vom Volk, das sie repräsentieren, nur geliehen ist - ehrenhalber sozusagen.

Lina Dingler studiert Politikwissenschaften und Wirtschaft an der Universität Potsdam. Im Februar und März 2015 hat sie über ihre Praktikumszeit in der Landeszentrale gebloggt. 

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