Neues Jahr, altes Problem: Rassismus findet sich allenorts, doch ist er nicht immer offensichtlich zu erkennen. Auch in der Bahn...
Silvester: Im Zug nach Potsdam. Neben mir steigen mehrere Frauen mittleren Alters in das Abteil. Aufgeregt unterhalten sie sich. Die Gesichter glühen rot vor Empörung. Durch ihre wilde Gestik und die lauten Stimmen kam ich nicht umhin mitzuhören.
„Die arbeiten doch ohnehin nicht und kaufen sich die teuersten Klamotten. Woher haben die eigentlich das Geld?“ „Und haben den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als sich die Nägel zu lackieren und die Haare zu machen. Mein Mann findet das völlig übertrieben, aber hingeguckt hat er trotzdem.“ „Ich wünschte, ich hätte so viel Zeit zu vertrödeln, aber unsereins muss ja arbeiten gehen.“
Die Unterhaltung – eine schmeichelhafte Umschreibung für das fortwährende Gezeter– setzte sich bis zum Zielbahnhof in Potsdam fort. Als ich in die Runde schaute, regte sich keine Miene bei den Mitfahrenden.
Doch worum ging es nun eigentlich? Der aktuelle Anlass für die Aufregung ließ sich nicht ermitteln, in jedem Fall machten die Frauen lautstark ihrem Unmut über die Türkinnen in ihrer Nachbarschaft Luft. Vermutlich hat keine von ihnen je auch nur ein Wort mit ihnen gesprochen, wahrscheinlich spricht nur die eigene Unzufriedenheit aus ihnen, doch das alles hält sie nicht davon ab, ihre Behauptungen kundzutun und untereinander eifrig zu bekräftigen. Eine Szene, die keine Seltenheit im Alltag ist.
Würden sich diese Frauen selbst als rassistisch bezeichnen? Niemals. Ist es Rassismus? Ja. Der amerikanische Essayist John J. Sullivan hat dies als „eine Form von Rassismus, der auf eine vulgäre Weise tief sitzt“, bezeichnet. Oft sind es nur flapsig dahingesagte Nebensätze, ‚Witze‘ unter Freunden in der Kneipe und doch: Es ist die Form von Rassismus, die sich latent durch die Gesellschaft zieht und den Nährboden für extreme Rechte bildet - wie auch der 2009 veröffentlichte Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz in Deutschland belegt.
Angekommen in Potsdam hängt mir allerdings mehr noch der Gedanke nach, warum eigentlich niemand in diesen Situationen widerspricht? Und schließlich: Warum habe ich nichts gesagt? Sind solche Bemerkungen schon geläufig? Nehmen wir sie gar nicht mehr wahr? Oder verhängnisvoller: nicht mehr ernst?
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