Lette meint, Cottbus sei von Berlin soweit wie der Mond. Und eigentlich sogar auf der dunklen Seite des Mondes. Ich bin neugierig. Also radeln wir da mal hin.
Cottbus liegt um die 130 Kilometer von Berlin. Der Mond befindet sich 380.000 Kilometer von der Erde entfernt. Lette meint, Cottbus sei von Berlin soweit wie der Mond. Und eigentlich sogar auf der dunklen Seite des Mondes. Ich bin neugierig. Also radeln wir da mal hin.
Wir sind hinten rum gefahren, vom Südosten her. Da gibt es traurige und lächelnde Ecken und Dörfer mit so lustigen Namen wie Klein Loitz, Gross Luja oder Muckerow. Und Gebiete wie Nochten oder Welzow, wo die Braunkohle ist. Da sieht es aus wie auf der dunklen Seite des Mondes. Manchmal scheint es hier so, als sei die DDR immer noch da. So als Nachhall mit nicht sichtbarer Gravitation. Ein schwarzes Loch, was noch lange wirken wird.
Aber auch das wirkt: schöne Straßen, schöne Radwege. Der Osten ist wütend, heißt es. Die Menschen fühlten sich abgehängt. Vielleicht sind sie wütend, ratlos, resigniert, weil das nicht reicht – es schön zu haben – nicht reicht, wenn man keine Perspektive hat? Hier ist es wie oft in Brandenburg: Die Landschaften und die Orte sind schön, aber die Leute gehen weg und es kommen nicht genug her. Das macht das Reden schwer.
An der Talsperre sind wir entlang durch schöne Villenstraßen langsam nach Cottbus gefahren. 100.000 Menschen leben hier. In Brandenburg ist nur Potsdam größer. In vielen Sachen ist Cottbus an zweiter Stelle. Zweitgrößte Stadt, zweitwichtigste Universität in Brandenburg, zweitwichtigster Wirtschaftsstandort. Obwohl das unterschiedlich gesehen wird. Bei der Zahl der rechtsextremen Überfälle und Gewalttaten ist Cottbus aber ein Hotspot. Trotz der vielen Studenten, trotz einer hippen Kulturszene und trotz des „Brandenburger Weges“, der auch hier alle miteinander verbinden soll. Spätestens seit Anfang diesen Jahres gilt Cottbus vielen Beobachtern als die Stadt in Brandenburg, die ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit hat. Warum ist das so und ist das nur so?
Mehr braucht eine Stadt nicht, um traurig zu sein
Wenn du nach Cottbus reinfährst, fallen drei Sachen auf: Das Arbeitsamt hat schon sechs Kilometer vor seinem Standort eine sehr genaue Ausschilderung, für die Spielbank wird mit sehr großen Plakaten geworben und der Bahnhof ist eine so abgeschlossene Baustelle, als ob er niemanden mehr weglassen will. Mehr braucht eine Stadt nicht, um traurig zu sein. Als wir in das Zentrum fahren, macht sich vor der Spielbank gerade eine gemeinsame Patrouille von Polizei und Bürgern auf den Weg.
Hier leben auch 3.400 Menschen, die keine Heimat mehr haben, weil die zerstört ist oder sie von dort vertrieben wurden. Für Cottbus mit seinen 100.000 Menschen, so scheint es, sind das zu viele. Komisch für eine Stadt, wo alle Straßenschilder, alle Behördenbezeichnungen zweisprachig sind, weil Cottbus zur Region der Sorben gehört. Eine über die Verfassung geschützte Minderheit mit eigener Sprache und auch eigener Geschichte. Die Flüchtlinge sind keine geschützte Minderheit. Nach Auseinandersetzungen mit Einheimischen hat die Stadt seit Januar einen „Zuzugsstopp für Flüchtlinge“.
Inzwischen gibt es Anti-Flüchtlings-Demos, die „Patrioten Cottbus“ und einen Verein „Zukunft Heimat“. Haben die auch ihre Heimat verloren? Die Feuerwehr der Stadt fuhr vorbei und grüßte über ihre Lautsprecher die „Patrioten in Cottbus“. Ende Mai feierten Cottbuser Fußballfans den Aufstieg ihrer Mannschaft in Ku-Klux-Klan-Kapuzen. Die Polizei schaute zu. Es ist etwas ins Rutschen gekommen in Cottbus. Wie in vielen anderen Städten auch. Das macht es kompliziert.
Der Verein „Cottbus schaut hin“ und viele andere wollen das nicht. Die Leute vom Bürgerbündnis dokumentieren alle fremdenfeindlichen Aktionen in dieser Stadt. Es ist, als stellen sie überall da eine Kerze hin, wo Ausländerhass die Stadt verseucht. Es sind inzwischen ziemlich viele Kerzen, die die „besorgte Blase“ Cottbus ausleuchten. Aber sie zeigen auch darauf, dass hier etwas geht in der Stadt. Es gab auch Gegendemonstrationen gegen die Menschen mit Fremdenhass.
So kann Cottbus auch sein
Wir sitzen beim American Diner am Altmarkt. Unser Kellner kommt aus Polen, drei Türken schauen türkische Fußballliga und eine Gruppe Syrer skypt mit der Heimat. Drum herum Cottbuser und Touristen. So kann Cottbus auch sein. So einfach.
Lette hat sich die Stadtzeitschriften gekapert. Die Geschäftsführerin der Entwicklungsgesellschaft Cottbus berichtet, dass ohne große Firmen die Stadt auf niedrigem Niveau stehenbleiben wird und das Arbeitsamt verkündet seine Erweiterung.
Lette zeigt auf eine Rezension: Stephanie Auras-Lehmann. Sie kommt aus Finsterwalde, dass liegt im Westen von hier aber noch ganz tief im Osten. Stephanie hat einen Roman geschrieben, wie es ist, wenn man wie fast alle von zu Hause weg geht und dann, wie ganz wenige, wieder nach Hause zurück will: Daheeme in der Heemat. Im Roman ist sie Peggy, die zurückkommt, weil es ja so nicht bleiben kann und außerdem ihre Liebe hier ist. Liebe ist immer gut. Peggy gründet eine „Rückkehreragentur“, damit noch mehr Menschen zurückkommen. Und der Heimat einen Sinn geben, jenseits von Wut und Hass. Einen Verlag hat Stephanie dafür nicht gefunden. Zu viel Science-Fiction?

Wegen Kunst am Leben und im Beruf ist Theresa nach Berlin gezogen. Dort arbeitet sie, wohnt aber in Brandenburg. Am Anfang hat sie gedacht, das kann nur eine Notlösung sein, denn alle wollen doch nach Berlin, niemand aber nach Brandenburg. Inzwischen sieht sie das anders. Brandenburg ist ganz anders als Berlin, wo jeder sich jeden Tag bloß neu erfindet. Brandenburg ist einfach und manchmal furchtbar kompliziert. Warum ist das so? Hier schreibt sie es auf.
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Kommentare
KommentierenEin sehr berührender Text.
Ein sehr berührender Text.
Ich spüre die Zerrissenheit.
Die Neugier, sich selbst ein Bild machen zu wollen von Cottbus.
Die Traurigkeit, mit der Dich dieser Ort empfangen hat.
Die Ratlosigkeit angesichts einiger Ereignisse in den letzten Monaten.
Und dann aber auch ein Funken Hoffnung, weil die Stadt eben doch mehr zu bieten hat als Fremdenhass, weil sie auch weltoffen und trotzdem (oder gerade deswegen!) Heimat sein kann.
Mir gings auch so
Mir gings auch so, am anfang dachte ich das übliche und dann fand ich die macht sich mühe und guckt weiter. naja unsere stadt komt mir schon vergessen vor und allein gelassen.
wieder die übliche
wieder die übliche schlechtmacherei von cottbus.
es kann so einfach sein
Komisch, ich lese den Text
Komisch, ich lese den Text positiv ... mir ist Cottbus total sympathisch geworden ...
Heeme
Danke Theresa für die positive Erwähnung im Blogeintrag. Ich habe meine Berufschulzeit von 2001-2004 in Cottbus verbracht. Eine herzliche Stadt mit vielen Facetten, aber auch Ecken und Kanten. Alexander Knappe hat als Urcottbusser Jahre später unsere Lieblingsrückkehrerhymne "Weil ich wieder Zuhause bin" erfolgreich veröffentlicht. Unsere Rückkehrerinitiative Comeback Elbe-Elster verspricht nicht die heile Welt, aber vielleicht das kleine Glück. Heeme ist halt heeme. Cottbus wird sich hoffentlich wieder vom schlechten Image und von politischen Problemen erholen.
Liebe Grüße
Stephanie Auras-Lehmann aus der Sängerstadt Finsterwalde
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