Thomas Wernicke über den Tag von Potsdam

Begräbnis der ersten deutschen Demokratie?

Der “Tag von Potsdam” am 21. März 1933 gilt als Symbol für das Begräbnis der Weimarer Republik und das Ende der ersten deutschen Demokratie. Historiker Thomas Wernicke hat mit uns über die Bedeutung des Tages damals und heute gesprochen.

Hitler vor der Garnisonkirche Potsdam

Tag von PotsdamReichskanzler Adolf Hitler verneigt sich vor Reichspräsident Paul von Hindenburg und gibt ihm die Hand.

Am 21. März 1933 wurde der erste Reichstag nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten eröffnet. Dazu fand in der Garnisonkirche in Potsdam ein Staatsakt statt. Das Ereignis ging als “Tag von Potsdam” in die Geschichte ein. 

Für die Nationalsozialisten und viele andere Deutsche der Zeit war Potsdam ein Traditionsort preußischer Geschichte. Die Stadt repräsentierte für sie das Alte, das, was es vor der von vielen verhassten Weimarer Republik gab. Das Alte waren das deutsche Kaiserreich und die preußischen Traditionen. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Nationalsozialisten dafür, den Staatsakt in Potsdam durchzuführen. Thomas Wernicke macht deutlich, dass das Ereignis bis ins Detail durchgeplant war.

Warum fand der Staatsakt nicht in Berlin statt, wo der Reichstag stand? 

Am 28. Februar 1933 brannte der Reichstag in Berlin und es entstand das Problem, wo  der neue Reichstag tagen und wo der Staatsakt für die Eröffnung stattfinden soll. Die neue Reichsregierung unter Reichskanzler Hitler hatte sehr früh die Idee, nach Potsdam zu gehen, um zu sagen: Wir schließen hier an die alte Zeit an. Die vollständig negativ gesehene Zeit der Weimarer Republik beenden wir damit. Wir schließen an das Alte, Große an. Und dafür steht natürlich stellvertretend Potsdam.

Es gab dann zunächst die Idee, in eines der Schlösser zu gehen, das Marmorpalais im Stadtschloss oder das Marmorpalais im Neuen Palais. Beides hat sich als unbrauchbar erwiesen. Und nun geschieht das Interessante - auch wenn wir dafür nur eine Quelle haben - die Idee kommt aus der Stadt Potsdam heraus: Gehen wir doch in die Garnisonkirche. Dort passen 2.000 Menschen rein.

Thomas Wernicke
© Thomas Bruns
Thomas Wernicke

ist Historiker und Museologe. Er kennt wie kaum ein anderer die Stadtgeschichte Potsdams und die Archive zum "Tag von Potsdam". Er hat zahlreiche Beiträge zum Thema veröffentlicht.
 

Wie lief der Tag ab?

Es sollten keine politischen Reden außerhalb der beiden Ansprachen des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers gehalten werden. Dann folgte eine Militärparade und anschließend sollte man sich am Nachmittag in Berlin in der sogenannten Krolloper versammeln, um dort die konstituierende Sitzung des Reichstages stattfinden zu lassen. 

Wurde der 21. März bewusst oder zufällig gewählt?

Nein, der 21. März ist kein Zufall. Ursprünglich sollte der Staatsakt Anfang April, so zwischen dem 2. und 8. April stattfinden. Am 8. März fand dazu ein geheimgehaltener Lokaltermin in Potsdam statt. Am Nachmittag kam die Reichsregierung, also auch der Reichskanzler, nach Potsdam. Und an diesem Nachmittag fällt die Entscheidung, das Ereignis auf den 21. März vorzuverlegen, an jenem Tag, an dem der erste Reichstag des Kaiserreiches 1871 eröffnet wurde. 

Welches Zeichen ging 1933 von der Garnisonkirche aus und welches Ziel verfolgten die Nationalsozialisten damit?

Das generelle Zeichen nach außen war: Wir schließen an das alte Große an. Das nahe Ziel von Hitler war es, den Reichstag durch ein Ermächtigungsgesetz auszuschalten. So ein Gesetz ist mehrmals in der Weimarer Republik angewandt worden, musste aber nicht zwangsläufig zum Ende der Demokratie führen. Wenn Sie zehn Jahre zurückgehen, 1923, als Deutschland tatsächlich am Abgrund stand, ist unter den Reichskanzlern Stresemann und Marx und dem Reichspräsidenten Ebert auch zeitweise ein Ermächtigungsgesetz beschlossen worden, um die Krisen zu bewältigen. Inflation, Besetzung, alles. Diese Gesetze bedeuteten damals nicht das Ende der Demokratie. 1933 war es aber ganz klar das Ziel: Mit diesem Ermächtigungsgesetz sollte der Reichstag ausgeschaltet werden. 

Der Tag von Potsdam war ein weiterer Schritt auf dem Weg in die nationalsozialistische Diktatur. Das Ermächtigungsgesetz, von dem Thomas Wernicke sprach, wurde vom Deutschen Reichstag am 23. März 1933, also nur wenige Tage nach dem Zusammentreffen in der Garnisonkirche, beschlossen. Damit erhielt die Regierung unter Reichskanzler Adolf Hitler die beinahe uneingeschränkte Möglichkeit, Gesetze zu erlassen, und zwar ohne die Zustimmung des Parlaments und des Reichsrats. Die Gewaltenteilung, ein zentrales Merkmal demokratischer Systeme, war damit praktisch außer Kraft gesetzt. Nach dem Staatsakt ist ein symbolträchtiges Foto entstanden. Dieses zeigt, wie sich Hitler und Hindenburg vor der Garnisonkirche die Hand geben.

Wie entstand das Bild und warum hat es so eine hohe Symbolkraft?

Hindenburg und Hitler geben sich im Grunde genommen dreimal die Hand an diesem Tag. Protokollarisch war es so vorgesehen, dass er den Reichspräsidenten vor der Garnisonkirche begrüßt, an der Seite zur Plantage hin. Da haben sie sich erstmalig die Hand gegeben. Dann kam die Rede Hitlers in der Garnisonskirche, die in einer Huldigung von Hindenburg endet. Davon war der Reichspräsident dermaßen gerührt, dass er aufstand und Hitler die Hand reichte. Das gebot auch die militärische Höflichkeit. Diese Dankesgeste ist von den Anwesenden schon als eine symbolische Geste aufgenommen worden, als die Übernahme oder Übergabe der alten an die neue Macht. Jetzt gab es aber davon kein Bild, weil in diesem Moment Fotografierverbot in der Kirche galt. Der Augenblick wurde vor der Kirche "nachgeholt" bei dem Foto von der Verabschiedung. So kommt es, dass dieses Verabschiedungsfoto eine Aufladung bekommt als eben dieses symbolische Machtübergabe-Bild. 

Das Bild des Handschlag symbolisiert heute für Viele das Begräbnis der ersten deutschen Demokratie. War das für die Menschen damals auch so?

Natürlich muss sich der Historiker immer fragen, was konnten die Zeitgenossen wissen? Und was wissen wir als die Nachgeborenen heute? Man muss immer berücksichtigen, es hat 1933 in diesen Tagen noch immer die Idee der Rechtskonservativen, vor allen Dingen des Vizekanzlers Papen gegeben, dass Hitler eingerahmt bleiben wird, dass Hitler gemäßigt wird. Das war, wie wir heute wissen, eine irrige Ansicht, aber das steckte damals noch dahinter. Beide, Papen und Hitler, waren aber  fest entschlossen, die parlamentarische Demokratie zu beerdigen. 

Wie reagierte die Potsdamer Bevölkerung auf das Ereignis? 

Naja, abgesehen von jenen, die durch die Nationalsozialisten schon verfolgt wurden, also Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und so weiter war da eine allgemeine Euphorie. Die ganze Stadt war auf den Beinen, die Schulklassen waren aufgerufen, ein Spalier zu bilden, die Vereine waren auf den Beinen, die ganze Stadt war auf den Beinen. An sieben Stellen in der Stadt ist diese Veranstaltung auch übertragen worden. Die Wahrnehmung der Mehrheit war, das dies ein Tag des Aufbruchs war, des neuen Anfangs.

Dazu gab es auch eine Symbolik, die Sie auf den Schwarzweißfotos nicht so richtig sehen können. Aber es war eine große Symbolik, dass die Reichsflagge der Weimarer Republik in den Farben Schwarz-Rot- Gold nicht mehr gzeigt wurde, sondern wieder die Farben des Kaiserreichs Schwarz-Weiß-Rot sowie die Hakenkreuzfahne. Übrigens nur als kleine Randbemerkung: Die Weimarer Verfassung ist ja nie formal außer Kraft gesetzt worden und die ganze Stadt war voll mit Schwarz-Weiß-Rot und den Hakenkreuzfahnen. Für Potsdam war es DAS zentrale politische Ereignis der Zeit. 

Brandenburg Weimarer Republik Karte 1920 - 1945
© retalic | Anja Gollor, Henry Hajdu
Landeskunde Brandenburg

Von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus


 

Warum reagierte die Stadtbevölkerung so euphorisch auf das Ereignis?

Es gab Anfang der dreißiger Jahre in der neuen, zweiten Wirtschaftskrise eigentlich kaum noch jemanden, der die Weimarer Republik erhalten wollte. Außer den Sozialdemokraten, sie waren die letzten, die für diese Republik noch kämpften. Es gab aber eine große Mehrheit, die wollte, dass es anders wird. Die Weimarer Republik ist ausschließlich negativ gesehen worden und man wollte sie letztendlich loswerden. Und dieses Loswerden war leider von ganz links bis ganz rechts zu beobachten. Eben nur mit Ausnahme der Sozialdemokraten, die noch bis zur Debatte um das Ermächtigungsgesetz um die Republik rangen.

Interessanterweise ist es so: Wenn Sie die unmittelbaren Pressestimmen lesen aus dem März 1933, hielt man immer noch den [Führer der Deutschnationalen Volkspartei] Alfred Hugenberg und Papen für weitaus gefährlicher als Hitler und die Nationalsozialisten. Das ist eine totale Unterschätzung, denn es ging ja, wie Sie wissen, ganz schnell. Im Sommer 1933 gibt es keine Parteien mehr außer der NSDAP. Sie dürfen nicht vergessen, dass dies alles verknüpft war mit dem Gefühl von Vaterland, Deutschland und Patriotismus. Das gehört damals dazu. 

Können wir aus der Geschichte lernen?

Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, man kann aus der Geschichte lernen. Man kann sich Geschichte nur stellen. Man muss eben immer wieder fragen, was ich vorhin schon erwähnte: Was konnten die Zeitgenossen tatsächlich wissen und was wissen wir, die Nachgeborenen? Und wie sehen wir heute auf diese Zeit zurück?
Wir wissen, in welcher Katastrophe das alles geendet hat. Und natürlich muss man heute kritisch fragen: Welchen Weg wird Deutschland jetzt gehen? 

Missing Produkt.

Geschichte wiederholt sich nicht. Dennoch werden Ereignisse der Gegenwart immer wieder mit der Zeit des Nationalsozialismus verglichen. Wie stehen Sie dazu?

Das ist meistens etwas, was ich ablehne, weil es den Nationalsozialismus relativiert oder verharmlost oder in seiner grundlegenden Bedeutung für die Katastrophe dann kleiner macht, als er war. Zum Beispiel diese Vergleiche mit der NSDAP oder auch diese Opfergeschichten und der Missbrauch des Judenstern während der Corona-Debatten. Wie gesagt, man kann eigentlich nur sagen, Geschichte muss man sich immer wieder neu stellen. 

Was wünschen Sie sich für das Gedenken an den "Tag von Potsdam"?

Dieses Gedenken hat ja nun stark zugenommen, um es mal vorsichtig zu sagen. Ich würde Gedenken  tatsächlich den wirklichen Opfern vorbehalten und ansonsten vielleicht eher mal miteinander debattieren über solche historischen Ereignisse. Es hat sich so eingebürgert, dass man letztendlich Geschichte nur noch über die großen Jubiläen wahrnimmt und daran kann man auch kaum etwas ändern. 

Anm. d. Red.: Für die schriftliche Form wurden die Antworten redaktionell bearbeitet. Es gilt das gesprochene Wort. Den vollständigen Wortlaut hören Sie in unserem Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft".

Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft"
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BLPB, Mai 2023

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