Wie eine offene Willkommenskultur in Brandenburg erfolgreich praktiziert werden kann, zeigen Porträts ehrenamtlicher Akteure. Sie berichten von ihren Erfahrungen mit Flüchtlingen, von Schwierigkeiten und Lösungen, von Patenschaften und zusätzlich organisierten Deutschkursen.
Die Ausstellung "Willkommen in Brandenburg?" zeigt neben Karikaturen zum Thema Flucht und Integration 14 Porträts von Akteuren aus verschiedenen Regionen Brandenburgs. Drei der Ehrenamtler stellen wir auf dieser Seite vor. Alle Porträts können in der Ausstellung und im Begleitkatalog nachgelesen werden.
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Unabhängig davon, wie sich die Weltlage entwickelt, egal wie die Debatten im Parlament um Veränderungen im Asylrecht enden, ungeachtet der letzten PEGIDA, LEGIDA, BREGIDA oder anderer mehr oder weniger fremdenfeindlicher Demonstrationen, irgendwann stehen die Menschen vor uns, über die geredet wird. Sie haben Angst, haben Menschen sterben sehen, haben oft eine lange Flucht hinter sich. Sie haben kein Dach über dem Kopf, haben nicht selten nur die Kleidung, die sie am Leibe tragen, und verstehen unsere Sprache nicht. Sie sind im „christlichen Abendland“ angekommen. Und wo sind die Christen?
Egal welchen Glaubens und welcher Religionszugehörigkeit, es gibt sie, die Menschen, die dann die Ärmel hochkrempeln und sich den Grund- und Menschenrechten verpflichtet sehen. Die sich fragen: Was kann ich tun? Ohne zu jammern und sich wegzuducken. Sie geben ehrenamtlich Deutschunterricht, spenden Möbel, Kleidung und Fahrräder, organisieren Feste und helfen den Fremden, Vorschriften zu verstehen, die auch uns manchmal Mühe machen.
Einige von ihnen wollen wir vorstellen und damit stellvertretend alle Aktiven in Brandenburg würdigen. Wir wollen zeigen, wie vielfältig das Engagement für eine gelingende Willkommenskultur im Lande ist und dass nicht selten die Zivilgesellschaft das auffängt, was die Politik versäumt. Ungeachtet aller Unvollkommenheit und aller Probleme – eine wichtige Erfahrung haben alle gemacht, die Flüchtlingen begegnen, sie kennenlernen und in ihre Gemeinschaften aufnehmen: Sie spüren ein selten gewordenes Glücksgefühl. Vielleicht ist dieses Gefühl auch das, was gemeint ist, wenn von Menschenwürde gesprochen wird. Denn die Würde des Anderen hat auch mit der eigenen Würde zu tun.
Dr. Martina Weyrauch
Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
An erster Stelle muss ein Deutschkurs stehen
Zunehmend werden Flüchtlinge auf die Dörfer verteilt. Das finde ich grundsätzlich gut, denn durch den Wegzug Einheimischer haben wir einen hohen Wohnungsleerstand und die Wohnungsbaugesellschaften freuen sich über die Einnahmen. Seit einigen Monaten leben auch bei uns in Wilmersdorf Flüchtlinge. Sie wurden zugeteilt und waren eines Tages da.Offene Ressentiments habe ich nicht erlebt, aber die Stimmung im Dorf war eher negativ. Allein schon, dass die Flüchtlinge Handys haben, sorgte für Unverständnis. Dabei ist das Handy die einzige Verbindung zu ihren Familien und überhaupt zur Außenwelt. Ich fragte mich dann, ja, wenn einer ankommt in Lumpen und nichts hat und nichts kann, dann wird gesagt: „Guck, der liegt uns auf der Tasche.“ Und wenn sie hierher kommen und eine Qualifikation haben, dann heißt es wieder: „Wozu brauchen die überhaupt unsere Hilfe?“ Solche Äußerungen musste man sich dauernd anhören.
Natürlich muss man auf die Bedenken und Befürchtungen der Einwohner erst einmal eingehen. Deshalb ist es notwendig, Informationsveranstaltungen anzubieten. Man müsste die Flüchtlinge selbst erzählen lassen, wie sie hergekommen sind, welche Schicksale sie haben und warum sie aus ihrem Land flüchten mussten. Das würde Verständnis wecken. Meine Frau und ich wollten dann wissen, wer sich um die Flüchtlinge kümmert, wer die Ansprechpartner sind. Es gibt aber nur die Anlaufstellen Ausländerbehörde oder Sozialamt. Vor Ort werden sie nicht betreut.
Doch wenn man sie hier im Dorf alleine lässt, funktioniert das nicht. Wie sollen sie zum Beispiel eine Stromrechnung von Werbeverträgen unterscheiden? Und wenn eine Rechnung nicht bezahlt wird, droht ein Eintrag bei der Schufa. Damit kann man sich die ganze Zukunft verbauen.
Wir haben dann mit Hilfe meines Schwagers, der lange in arabischen Ländern gearbeitet hat, einen Kontakt zu den sechs Syrern hergestellt. Es sind sehr angenehme, gebildete junge Männer, fast alle mit qualifizierten Berufen und absolut integrationswillig. Zwei von ihnen sprechen ganz gut Englisch, so dass wir uns verständigen können. Sie haben noch keinen Aufenthaltstitel, das heißt, sie dürfen auch noch keinen Deutschkurs besuchen. Das ist das Hauptproblem!
Von der ökonomischen Seite betrachtet, ist die Bilanz verheerend. Die Leute sitzen seit Monaten rum, gucken fern, gehen mal raus oder fahren einkaufen nach Angermünde. Schade um die verlorene Zeit. Wenn sie schon Deutsch könnten, hätten sie vielleicht die Möglichkeit, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten, könnten Geld verdienen und Steuern zahlen. Dennoch, alle sind sehr dankbar und empfinden es als großes Geschenk, dass sie hier leben können.
Wenn man das hört, schaut man schon anders auf sein Land und ist froh, dass man niemanden bestechen muss, um einen Stempel oder ein Papier zu bekommen. Es macht mich auch in gewisser Weise stolz, dass es in Deutschland diese Hilfe gibt. Inzwischen treffen wir uns regelmäßig oder telefonieren. Wenn wieder ein Schreiben kommt, das sie nicht verstehen, fotografieren sie es mit dem Smartphone, schicken es mir und ich übersetze es dann oder rufe in der Behörde an, wenn es Verständigungsschwierigkeiten gibt. Ob Ausländerbehörde oder Jobcenter – ich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Die Mitarbeiter sind sehr bemüht und hilfsbereit.
Patenschaften sind Investitionen in die Zukunft
Eigentlich wollten wir keine weiteren Ehrenämter übernehmen, aber wir haben in Neuruppin einen großartigen Mitarbeiter der Kreisverwaltung, der hat das ganz geschickt eingefädelt. Wir sollten einfach mal kommen und uns das Asylbewerberheim ansehen.
Uns schlug viel Hoffnungslosigkeit und auch Misstrauen entgegen. Wir lernten dann eine Familie aus Afghanistan kennen. Der Mann war Lehrer und wollte – was in Afghanistan nicht üblich ist – dass auch seine Töchter zur Schule gehen. Das wurde der Familie von den Taliban verwehrt. Als die Bedrohungen zunahmen, floh er mit Frau und Kindern und kam nach Deutschland. Hier sind erwachsene Flüchtlinge bis zu ihrer Anerkennung nicht berechtigt, einen Deutschkurs zu besuchen. Er wollte das nicht hinnehmen und bat darum, als stummer Zuhörer beim Deutschunterricht dabei zu sein. Die Lehrerin war wohl von seiner Hartnäckigkeit beeindruckt und hat schließlich zugestimmt. Und so lernte er eben doch schneller Deutsch. Das hat uns gefallen und als wir diese Familie kennen lernten, war es, wie man so schön sagt, um uns geschehen. Das ist jetzt drei Jahre her.
Hilde: Ich überlegte dann, was ich Sinnvolles tun kann. Als Psychotherapeutin weiß ich, dass viele Flüchtlinge eine Traumatherapie bekommen müssten, aber es gibt längst nicht genug Plätze. Es bleibt deshalb nur die Möglichkeit der echten, menschlichen Begegnung. Meine Erfahrung ist, dass man auch bei schwer traumatisierten Menschen den Weg zum Herzen finden kann. Und wenn es glücklich verläuft, können sich diese Menschen auch öffnen. Die menschliche Psyche ist erstaunlich begabt. Einerseits sehr verletzlich, andererseits kann das Unterbewusste auch Dinge wieder zurechtrücken. Die heilende Kraft liegt immer in der Tiefe des Menschen selbst. Ein Therapeut kann den Prozess nur fördern.
Seitdem kümmere ich mich um diese afghanische Familie. Wir haben uns ein Mal pro Woche getroffen und ich merkte, wie sich die Familie geöffnet hat. Es entstand so etwas wie Liebe zwischen uns. Das kenne ich aus meiner früheren therapeutischen Arbeit. Zeitweise habe ich mich auch um eine afghanische Mutter mit drei Kindern gekümmert. Sie kam schwer traumatisiert hier an. Ihr Mann war LKW-Fahrer bei den US-Streitkräften in Afghanistan und wurde deshalb von den Taliban ermordet.
Zunächst fand ich keinen Zugang zu ihr. Vieles lief auch nonverbal ab. Dann sagte ich, dass ich gerne Farsi lernen möchte. Mein Interesse an ihrer Sprache hat sie sehr überrascht und ihr großen Spaß gemacht. Sie konnte sich öffnen und das hat ihr geholfen.
Sebastian: Meine erste Idee war, zusammen mit anderen Deutschkurse zu organisieren. Doch das funktionierte nicht, weil die Flüchtlinge zum Teil noch nie eine Schule besucht hatten, weder lesen noch schreiben konnten. Dafür braucht man geschulte Fachkräfte. Und obwohl ich früher Lehrer war, bin ich als Ehrenamtler da an meine Grenzen gestoßen. Aber ich konnte auf andere Weise helfen. Inzwischen kümmere ich mich um einen jungen Mann aus Afghanistan und habe eine Art Patenschaft für ihn übernommen.
Zunächst hatte er mir manchmal im Garten geholfen oder etwas repariert. Dann habe ich ihn angestellt, mit einem richtigen Vertrag auf 100-Euro-Basis. Ich bezahle für ihn Krankenkasse und Versicherung und er bekommt für die Stunde 8,50 Euro. Die Verwaltung in Neuruppin hat mich dabei sehr gut beraten und unterstützt. Der junge Mann hat sich inzwischen toll entwickelt. Früher hatte er keine Aufgabe, wusste mit seinem Tag nichts anzufangen, lebte mit einem anderen jungen Mann in einem kleinen Zimmer im Heim, hatte Hemmungen und sprach auch kein Deutsch. Jetzt sehen wir uns regelmäßig, wir arbeiten zusammen und nebenbei hat er seinen Wortschatz erweitert.
Natürlich gab es auch Rückschläge und Missverständnisse. Es ist ein Weg der kleinen Schritte und man muss Vertrauen haben. Inzwischen aber ist er selbstbewusst geworden und will einen Deutschkurs besuchen. Die Sensation aber ist, dass er vor zwei Monaten eine Wohnung gefunden hat. Ganz selbständig hat er sie renoviert und eingerichtet. Ohne den Arbeitsvertrag wäre das nie denkbar gewesen.
Dass ich in meinem Alter einem Menschen dabei helfen kann, eine bessere Zukunft zu haben, ist eine große Freude und macht mich richtig glücklich. Ich kann anderen nur empfehlen, sich auch zu engagieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, Patenschaften zu übernehmen. Meine Erfahrung ist: Man soll nicht aufgeben! Auch wenn es Strecken gibt, wo man frustriert ist, kommen immer wieder Zeiten, wo man sich freuen kann.
Es kommen Menschen, die viele Kompetenzen mitbringen
Der Start unserer Initiative war vor eineinhalb Jahren, als die Stadtverordneten in Falkensee einstimmig beschlossen haben, zu prüfen, ob 100 Flüchtlinge im Sommer 2015 aufgenommen werden können. Ich fand das großartig, auch, weil der Beschluss parteiübergreifend gefasst wurde. Ein paar Mitstreiter und ich haben daraufhin einen Artikel gepostet: „Wie toll, dass Falkensee jetzt bunter wird!“
Die Reaktionen waren heftig. „Ihr blöden Gutmenschen habt ja keine Ahnung, was dann auf uns zurollt!“ war da eher noch eine harmlose Antwort. Wir haben versucht, die Wogen zu glätten. Unsere facebook-Seite „Falkensee kann anders“ hatte in kürzester Zeit ganz viele likes. Zur Verbreitung von Informationen sind die neuen Medien wirklich super!
Allerdings kann man viel schreiben, wenn man bequem auf der Couch zu Hause sitzt. Es muss sich im Tun manifestieren, sonst nützt es gar nichts. Im Februar 2014 haben wir zu einem realen Treffen eingeladen und unsere Initiative „Willkommen in Falkensee“ gegründet. Inzwischen sind auch die Kirchen, der Fußballverein, die Volkshochschule und andere mit im Boot und wir haben zehn Arbeitsgruppen gegründet. Meine Idee ist, dass man Patenschaften installieren müsste, um die Kräfte zu multiplizieren.
Wenn wenige Unterstützer vielen Menschen gegenüber stehen, werden immer nur die „Sunnyboys“ ihre Paten finden. Die anderen, die schwer traumatisiert sind, finden dann keine Unterstützung. Wenn ich aber weiß, ich bin für 10 bis 15 Flüchtlinge zuständig, dann kann ich meine Netzwerke aktivieren und Verbindlichkeiten schaffen. Im Stadtzentrum von Falkensee werden jetzt zwei Gebäude mit kleinen Apartments gebaut und damit optimale Bedingungen für die Flüchtlinge geschaffen.
Im letzten Sommer haben wir jedes Wochenende eine Aktion gestartet, weil wir das Thema so lange in der Gesellschaft diskutieren wollen, bis es die Leute verstanden haben und Ängste und Befürchtungen abgebaut sind. Bald hatten wir auch persönliche Kontakte zu Flüchtlingen aus Friesack. Die haben wir zu unseren Veranstaltungen eingeladen. Es ist wichtig, dass sie dabei sind, damit nicht über sie sondern mit ihnen gesprochen werden kann.
Die Begriffe Flüchtling und Asylant halte ich für problematisch, weil es ja nur ein Aspekt im Leben der Menschen ist. Richtig ist, dass es Menschen sind, die flüchten mussten – aber doch auch viele Kompetenzen mitbringen. Ich wünsche mir, dass sie ihre Fähigkeiten zeigen und ausleben dürfen.
Wenn diese Menschen nicht integriert werden, keine Beschäftigung finden, sich also nicht „willkommen“ fühlen, dann befürchte ich, dass sie sich radikalisieren werden. Die hohen Hürden, um in Beschäftigung zu kommen, halte ich für völlig absurd! Und ich halte es für noch absurder, dass die Menschen erst dann Deutsch lernen dürfen, wenn sie das gesamte Verfahren durchlaufen haben. Dann ist viel kostbare Zeit verloren gegangen, Zeit, in der die Leute hoch motiviert sind.
Landeszentrale, Mai 2015
Fotografien: Stefan Gloede. Die Gespräche geführt und aufgeschrieben hat Martina Schellhorn.
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