In Deutschland löst Zuwanderung oft Furcht aus. Dabei ist der Zuzug von Fremden ein wesentliches Element gesellschaftlicher Entwicklungen. Brandenburg ist ein Beispiel dafür, wie die Alten von den Neuen profitieren können.
Die Deutschen sind ein Volk von Bedenkenträgern. Im englischsprachigen Ausland gibt es sogar einen Begriff dafür. Die "German Angst" beschreibt das kollektive Bedrohungsgefühl der Deutschen. In diesen Tagen fürchten sie sich vor allem vor Zuwanderung: ob Polen, Bulgaren, Rumänen, Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber - die Debatte, was und wer in Deutschland willkommen ist, wird oft von der Furcht vor dem Fremden und Unbekannten begleitet.
Häufig wird dabei die deutsche Identität auf der einen und die von Migranten auf der anderen Seite betont. Das erscheint für Brandenburg besonders seltsam, denn eine gemeinsame Identität hat sich hier wegen einer jahrhundertelangen Zuwanderung, die das Land mehr prägte als die natürliche Bevölkerungsentwicklung, kaum herausbilden können. Die brandenburgische Realität besteht vielmehr in der gleichzeitigen Existenz verschiedener Kulturen.
Mehr Vertrauen in die eigene Geschichte
Die Furcht wäre vielleicht kleiner, hätten die Brandenburger mehr Vertrauen in ihre eigene Geschichte, denn das Land blickt auf vielfältige Erfahrungen mit Zuwanderern zurück. Viele Brandenburger sind stolz auf ihre Tradition der Toleranz gegenüber Fremden und Zuwanderern. Dabei war der Weg dahin nie frei von Spannungen und Konflikten zwischen Gegnern und Befürwortern des Zuzugs von Fremden.
Dazu zählte auch die gezielte Ansiedlung von Flüchtlingen. So hatte Brandenburg Mitte des 17. Jahrhunderts durch den Dreißigjährigen Krieg etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren, in der Uckermark waren sogar über 90 Prozent menschenleer. Um die Verluste auszugleichen, war das Land auf Zuwanderung zwingend angewiesen. Aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus wurden deshalb Fachkräfte aus der Landwirtschaft und Handwerker angeworben. Es wurden aber auch Menschen aufgenommen, die aus religiösen Gründen aus ihrer Heimat fliehen mussten: zum Beispiel die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, die aufgrund des Edikts von Potsdam nach Brandenburg kamen, und der größte Teil der Lutheraner aus Salzburg, die 1731/32 im Königreich Preußen eine neue Heimat fanden. Die 1750 gegründete Kolonie Nowawes (Potsdam-Babelsberg) ist ein Beispiel für die Ansiedlung lutherischer und reformierter Glaubensflüchtlinge aus Böhmen.
Die Ansiedlungen trafen keineswegs nur auf Zustimmung bei den märkischen Alteingessenen. Im Gegenteil, hugenottische Prediger wurden in Gegenden, in denen der orthodox-lutherische Landadel dominierte, durchaus derbe verprügelt. Jüdische Zuwanderer wurden über Generationen als bärtige Fanatiker diffamiert und Politiker, wie der Reformer und Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg als „Ausländer“ beschimpft, weil er aus dem Kurfürstentum Hannover kam.
So weit zurück in die Geschichte muss man jedoch gar nicht gehen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen hunderttausende Vertriebene aus den abgetrennten deutschen Ostgebieten nach Brandenburg. Die meisten fanden in der Landwirtschaft Beschäftigung. Bauhöfe in Rathenow, Brandenburg, Eberswalde, Frankfurt (Oder), Potsdam, Strausberg, Guben, Cottbus und Spremberg schulten kaufmännisches Personal um. Einige Vertriebene oder ihre Nachkommen leben vielleicht immer noch dort, als Brandenburger mit Migrationshintergrund gewissermaßen. Vor allem in den Dörfern stießen die Neuankömmlinge oft auf Ablehnung.
Auch in den Jahren der deutschen Teilung kamen Zuwanderer nach Brandenburg. Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren holte die DDR-Führung aus wirtschaftlichen Gründen ausländische Vertragsarbeiter - in der Bundesrepublik sprach man von Gastarbeitern - unter anderem aus Vietnam, Kuba, Ungarn und Polen ins Land. Auch politische Flüchtlinge kamen nach Brandenburg: aus Griechenland, Chile, Angola, Mosambik, El Salvador und Nicaragua. Allerdings hatten sie nur wenig Kontakt mit der Bevölkerung im Alltag, weil sie kaum mit ihr lebten, sondern in speziellen Wohnheimen untergebracht waren.
Nach 1990 kamen mit den so genannten Kontingentflüchtlingen Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nach Brandenburg. Mit ihnen gelang es, auch wieder jüdisches Leben im Land zu entwickeln, nachdem die jüdische Gemeinde im Nationalsozialismus praktisch ausgelöscht worden war.
Zuwanderung als Chance
Die brandenburgische Regierung versteht Zuwanderung vor allem als Chance, etwa um Menschen in dünn besiedelte Gegenden zu holen, den Fachkräftemangel auszugleichen sowie als kulturelle Bereicherung. Das Landesintegrationskonzept rückt ausdrücklich diese positiven Folgen von Zuwanderung in den Vordergrund:
Immer noch werden Zuwanderung und Integration zu oft unter Risiko- und sozialen Aspekten diskutiert – Brandenburg sieht sich demgegenüber als Bundesland, das von Zuwanderung und den bereits hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund bereichert wird. Es sieht sich als Land der Vielfalt, das Zuwanderung begrüßt und braucht.“
Die Resonanz in der Bevölkerung darauf ist durchaus widersprüchlich. Auf der einen Seite formieren sich Bürgerproteste gegen die Einrichtung von Flüchtlingsheimen in ihren Orten, fühlen sich Kommunen überfordert mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Auf der anderen Seite entwickeln sich zahlreiche Initiativen von Bürgern, die sich in den Städten und Landkreisen für eine Integration von Zuwanderern und eine neue Willkommenskultur einsetzen.
Dieser integrative Ansatz erscheint vielversprechend. Denn Studien für die frühe Neuzeit haben gezeigt, dass viele Ansiedlungen wie in Chorin oder Gramzow-Seehausen scheiterten, wenn der eigene Profit zu sehr im Vordergrund stand und die Neusiedler nicht genügend dabei unterstützt wurden, in der neuen Heimat anzukommen. Die Gebiete haben keinen Nutzen aus dem Scheitern gezogen.
Wer Zuwanderung grundsätzlich als normalen Teil der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet, macht oft die Erfahrung, dass sich der Schreck vor dem Unbekannten relativiert. Der Blick in die Geschichte Brandenburgs zeigt, dass es von Zuwanderung in erster Linie profitiert hat. Die damit verbundene sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt prägt das Land bis heute.
Diese landesgeschichtliche Dimension von Flucht, Zuwanderung und Integration hat der Historiker Michael Lemke eindrücklich dargestellt.
Seine Überlegungen ermutigen, machen aber auch deutlich, dass Weltoffenheit und Toleranz in Brandenburg immer wieder in Frage gestellt wurden und ständig erneuert werden müssen:
Offenheit, Sympathie und Solidarität für die Zugereisten, aber noch nicht Angekommenen, tätige Hilfe und vielerlei Zuwendungen sind allerorts an der Tagesordnung. Sie können jedoch die schlimmen Fälle von nationalistischer und rassistischer Intoleranz nicht vergessen machen… Dieser besonderen historischen Verpflichtung wird Brandenburg vor allem seinen Neubürgern gegenüber auch in Zukunft gerecht werden müssen.“
Wie viele Flüchtlinge nimmt Brandenburg auf?
Aufnahmequoten für die einzelnen Bundesländer legen fest, welchen Anteil der Asylbewerber jedes einzelne Bundesland aufnehmen muss. Diese Quoten werden nach dem „Königsteiner Schlüssel“ berechnet, der jährlich entsprechend den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder neu berechnet wird. Er verdankt seinen Namen dem Königsteiner Staatsvertrag von 1949, der ursprünglich die Finanzierung überregionaler Wissenschaftseinrichtungen regelte. Nach § 45 des Asylverfahrensgesetzes wird der Königsteiner Schlüssel auch für die Verteilung von Asylbewerbern und Kontingentflüchtlingen angewendet.
Für Brandenburg beträgt die Aufnahmequote rund 3 Prozent der Gesamtzuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Zum Vergleich: Nordrhein-Westfalen sind es über 20 Prozent.
Landeszentrale, Februar 2015 (aktualisiert November 2017) unter Verwendung der Studie von Silke Kamp, Neuzeitliche Migration in Brandenburg, in: Handbuch der brandenburgischen Ortsgeschichte (BLHA), hrsg. von Klaus Neitmann und Peter Bahl (2005). Hinweis: Das PDF des Beitrags findet sich unter II. Themen; Einzelne Sachgebiete.
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