Journalistin Kristina v. Klot trifft in Brandenburg Menschen, die das demokratische Miteinander fördern wollen. In Herzberg (Elbe-Elster) berichtet ihr Frank Gebauer, wie er – unter anderem durchs Volleyballspielen – Zugewanderten die Integration erleichtert und für mehr Toleranz in der Region sorgt.
Nach einem Bandscheibenvorfall hatte Betonfacharbeiter Frank Gebauer viel Zeit und begann, Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag zu helfen:
Zweimal in der Woche organisiert er ein Volleyballtraining für Zugewanderte
Herzberg (Elbe-Elster) ist die fünfte Station der Reise durch Brandenburg. An einem Samstagnachmittag Ende November ist Frank Gebauer unterwegs zum Volleyballtraining mit Zugewanderten. Die hell erleuchtete Turnhalle der Grund- und Oberschule „Johannes Clajus“ ist schon von weitem gut zu sehen – und zu hören. Im Vorraum ein Dutzend Jugendlicher, die einander lautstark Sprüche und Bälle zuwerfen, in einem Mix aus Deutsch, Persisch und Arabisch.
Kaum tritt Gebauer durch die Tür, schallt ihm ein gut gelauntes „As-salamu alaikum“ entgegen. „Wa aleikum as-salam“, antwortet er auf die arabische Grußformel und legt seine rechte Hand aufs Herz. Viel mehr Arabisch spreche er nicht, aber zum Glück sei immer irgendjemand da, der übersetzen könne, sagt der 65-Jährige.
„Das Sich-Kümmern-Wollen hat irgendwie nicht mehr aufgehört. Aber ich tue das gerne und bekomme auch viel zurück!“
Gebauers Engagement begann 2010 mit der Nachhilfe für zwei Jungs. Der kurdischstämmige Imbissbesitzer, bei dem er Stammgast war, fragte, ob er seinen Söhnen beim Deutschlernen helfen könne. Da Gebauer nach einem Bandscheibenvorfall nicht länger als Betonfacharbeiter auf dem Bau arbeiten konnte „und plötzlich viel Zeit hatte“ sagte er zu – und wurde Bildungspate. „Das Sich-Kümmern-Wollen hat irgendwie nicht mehr aufgehört“, sagt Gebauer mit einem Achselzucken. „Aber ich tue das gerne und bekomme auch viel zurück!“ Besonders gefreut habe ihn, dass ein afghanischer Freund seine offene, freundliche Art lobte: „Ich war der erste Deutsche, der ihn angelächelt hat, sagte er zu mir.“
Die meisten Menschen, für die Gebauer Ansprechpartner ist, stammen aus Afghanistan, Syrien und dem Iran.
Heute unterstützt Gebauer zehn bis 15 Familien. „Der eine sucht nach einem Schreibtisch, der andere braucht Hilfe bei der Elektrik oder bei Behördengängen.“ Inzwischen gibt es viele Gleichgesinnte, die sich wie er im Rahmen des Vereins W.E.L.T. engagieren, der über 30 deutsche, russische, arabischstämmige und afghanische Mitglieder hat. Die meisten Menschen, für die Gebauer Ansprechpartner ist, stammen aus Afghanistan, einige aus Syrien und dem Iran. Das liegt an der Nähe Herzbergs zur Erstaufnahmeeinrichtung Doberlug-Kirchhain: Hier fanden erstmals 2015 ehemalige Ortskräfte und deren Angehörige aus Afghanistan ihre erste Zuflucht. 2021 kamen von dort erneut einige hundert Geflüchtete – im Zuge der Machtübernahme der Taliban.
Viele von ihnen sind geblieben und haben sich eingelebt, einige besitzen inzwischen auch einen deutschen Pass. Doch das ändere leider nichts daran, dass Zugewanderte im 9000-Einwohner-Städtchen Herzberg häufig mit Vorbehalten und Argwohn betrachtet würden, so Gebauer.
Wie reagieren auf herabwürdigende Kommentare?
„Du weißt doch gar nicht, wer das ist! Hör auf damit, Menschen zu beleidigen, die du nicht kennst!“
„Einmal wurde ein ägyptischer Bekannter von mir angequatscht, wann er denn endlich `nach Hause´ fahre“, berichtet Gebauer kopfschüttelnd. „Der arbeitet als Arabisch-Dolmetscher in der Kreisverwaltung, lebt hier und ist mit einer Deutschen verheiratet.“ Solchen Beleidigungen müsse man etwas entgegenhalten. Als in seinem Beisein ein ehemaliger Kollege auf einen dunkelhäutigen Passanten zeigte und sagte: „Guck mal, für so jemanden arbeiten wir mit!“, hätte er zurück geblafft: „Du weißt doch gar nicht, wer das ist! Hör auf damit, Menschen zu beleidigen, die du nicht kennst!“
Was sich viele Menschen in Herzberg nicht klarmachten: „Der Großteil der Familien, die 2015 hergekommen und geblieben sind, hat Arbeit gefunden“, sagt Gebauer. „Ob in der Bäckerei, der Apotheke, der Post, im Autohaus, als Busfahrer, in der Küche oder beim Wachschutz“ Beeindruckend sei auch der Erfolg der Nachbarstochter: „Sie hat vor kurzem ihren Bachelor-Abschluss als Bauingenieurin absolviert.“
„Die gute Nachricht: Dass wir als Verein gemeinsam mit den Zugewanderten immer stärker präsent sind, zeigt Wirkung.“
Letztlich seien die Erfolge der Integrationsbemühungen also deutlich spürbar, räumt Gebauer ein. „Die gute Nachricht: Dass wir als Verein gemeinsam mit den Zugewanderten immer präsenter sind, zeigt Wirkung.“ Ob beim Stadtfest, Laternenumzug oder Weihnachtsmarkt: Inzwischen begegne man im öffentlichen Raum seltener misstrauischen Blicken, „zum Beispiel, wenn ich mit Frauen unterwegs bin, die Kopftuch tragen.“ Was in Großstädten eher selbstverständlich sei, werde hier erst nach und nach Normalität: „Man trifft sich, bleibt stehen und unterhält sich – völlig unabhängig von Nationalität und Kultur.“
„Beim Volleyball können wir nicht nur Dampf ablassen, sondern auch alle möglichen Themen am Spielfeldrand besprechen!“
Auch das gemeinsame Sporttreiben habe das Klima zwischen Zugewanderten und Einheimischen verbessert, ist Gebauer überzeugt. „Beim Volleyball können wir nicht nur Dampf ablassen, sondern auch sämtliche Themen am Spielfeldrand besprechen!“ So ließen sich Lösungen für Probleme finden, die das Miteinander vor Ort belasten: versäumte Hausaufgaben, Konflikte im Freibad oder die Jobsuche. Dass man sich in Spielpausen offen austauschen könne, wirke Wunder, so Gebauer. Hilfreich sei auch das große Netzwerk des Vereins.
„Manchmal ruft mich sogar der Bürgermeister an und bittet mich, mit Eltern zu sprechen, deren Kinder Feuerwerkskörper gezündet haben sollen. Meist lässt sich das dann schnell und unkompliziert beim Volleyball auf der Bank klären.“
„Zum persisch-kurdischen Neujahrsfest kommen afghanische Gäste aus ganz Deutschland nach Herzberg, weil sie die starke Community hier so schätzen“
Kurze Dienstwege nutze auch seine Frau, Leiterin der Grund- und Oberschule „Johannes Clajus“, die Mitglied ist im Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. „Wenn sie im Kollegium hört, dass sich Verspätungen häufen, spreche ich das am Rande des Trainings an, ohne dass offizielle Elterngespräche nötig werden.“ Aber man rede auch über die schönen Dinge des Lebens – etwa die Vorbereitung des persisch-kurdischen Neujahrsfestes Newroz, das im März mit vielen hundert Gästen gefeiert wird. „Zum Neujahrsfest kommen afghanische Gäste aus ganz Deutschland nach Herzberg, weil sie die starke Community hier so schätzen“.
Als Gebauer das erzählt, steht er mitten unter den Volleyballspielern, die alle zustimmend nicken. Dann löst sich jemand aus dem Pulk und stellt sich als ehemalige Ortskraft aus Afghanistan vor. Der 34-Jährige, der in Kabul als Personaler für die Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit (GEZ) tätig war, schaut Gebauer an und sagt nüchtern, fast sachlich: „Frank lebt jeden Tag vor, wie wichtig es ist, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch an andere.“
Checkliste für eine gelingende Integration und mehr Zusammenhalt im Alltag
So kann man im persönlichen Umfeld Zugewanderten den Start erleichtern – inspiriert von Frank Gebauers Engagement in Herzberg:
- Niedrigschwelligen Austausch ermöglichen: Gemeinsame Aktivitäten wie zum Beispiel Sport, Kochen oder Spaziergänge anbieten, damit aus Fremden Bekannte werden.
- Hilfsbereitschaft im Alltag zeigen: Bei Formularen, Behördengängen, der Wohnungs- oder der Jobsuche Unterstützung anbieten und Hürden abbauen.
- Mutig einschreiten: Herabwürdigenden Kommentaren widersprechen – freundlich, aber bestimmt – und Betroffene nicht alleine lassen.
- Sprachbarrieren überbrücken: Nonverbale Kommunikation und Übersetzungshilfe nutzen und Geduld mitbringen, um Verständigung zu erleichtern.
- Vereine und Netzwerke aktiv einbinden: Sich mit lokalen Initiativen, Sportvereinen und Schulen vernetzen, um kurze Wege zu ermöglichen und Zugehörigkeit zu stärken.
- Gemeinsame Präsenz im öffentlichen Raum schaffen: Bei Stadtfesten, Märkten oder Vereinsfeiern sichtbar miteinander auftreten, um Vorurteile abzubauen.
- Räume für regelmäßigen Austausch eröffnen: Jede Begegnung nutzen, ob am Spielfeldrand, im Café oder auf der Parkbank, um Sorgen, Konflikte, aber auch Erfolge anzusprechen – und bei Problemen gemeinsam Lösungen zu finden.
Ehrenamtliche zeigen, dass es sich lohnt, selbst aktiv zu werden. Man überlistet eigene Vorurteile, lässt Ignoranz und Unzufriedenheit hinter sich und erlebt, wie man gemeinsam mit anderen viel bewirken kann. In der Blog-Reihe „Es bewegt sich was in Brandenburg“ stellt die Journalistin Kristina v. Klot einige dieser engagierten Menschen vor.
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