Hasso Lieber über das Schöffenamt

Im Ehrenamt auf der Richterbank

Wer sollte Schöffe oder Schöffin werden - und wer besser nicht? Das Schöffenamt ist kein Zuckerschlecken. Warum es dennoch die Mühe lohnt, erklärt Hasso Lieber, langjähriger Richter im Ehrenamt.

Hasso Lieber, ehemaliger Vorsitzender Richter und Justizstaatssekretär
© Schöffen TV

Was sind Schöffinnen und Schöffen überhaupt?

Schöffen sind ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die gemeinsam mit Berufsrichtern über das Strafmaß von Angeklagten oder auch deren Freispruch entscheiden.

Warum gibt es das Schöffenamt?

Das Volk soll an der Rechtsprechung beteiligt sein. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 20, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dieses durch besondere Organe an der Rechtsprechung teilnimmt. Auch in zwölf von sechzehn Landesverfassungen findet sich eine entsprechende Festlegung. Normalerweise sagt man ja, Rechtsprechung sei nur etwas für Juristen. Genau an dieser Stelle aber muss man präzise hingucken, denn das ist sie eben nicht. Die Formel "Im Namen des Volkes" ist ein Symbol dafür.

"An der Rechtsprechung sind Frauen und Männer aus dem Volke als ehrenamtliche Richterinnen und Richter ... zu beteiligen." (Verfassung des Landes Brandenburg, Artikel 108, Absatz 2.)

Warum sollen Menschen, die Recht nicht studiert haben, bei Gericht mitbestimmen?

Das Amt des Schöffen soll zum Beispiel gegenüber den Angeklagten Vertrauen schaffen, indem da jemand sitzt, der sie nicht nur nach formalen Kriterien beurteilt, sondern auch nach den Begriffen der Bevölkerung, nach Begriffen, die der nicht ausgebildete Jurist von Gerechtigkeit hat. Es schafft Vertrauen, so jemanden dabei zu haben. Dieser Grundsatz ist uralt: Schon in England hat man 1215 in der Magna Carta Libertatum bestimmt, dass jemand nur von Seinesgleichen verurteilt werden darf. Das Schöffenamt ist also eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn man so will.

Und dann muss man natürlich sagen: es ist eine gewisse Kontrolle der Justiz durch die Beteiligung von Personen, die der Justiz nicht angehören. Sie achten etwa darauf, dass das Verfahren verständlich, plausibel aus der Sicht des Angeklagten bleibt – das ist auch ein Wert an sich.

"Jeder, der angeklagt ist, muss Verfahren und Urteil verstehen." (Hasso Lieber)

Wer kann Schöffe oder Schöffin werden?

Auch dazu gibt das Grundgesetz Auskunft. Artikel 33 sagt: Zu den öffentlichen Ämtern haben alle Deutschen gleichen Zugang – nach Eignung, Leistung und Befähigung. Die gesetzlichen Kriterien sind klar: deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Sprache, keine Vorstrafen, nicht jünger als 25 und nicht älter als 69 Jahre am Beginn der Amtszeit und noch einige andere Voraussetzungen. Verfassungstreue zum Beispiel, wer die verfassungsmäßige Ordnung beseitigen will oder in Frage stellt - zum Beispiel Reichsbürger, die der Meinung sind, Deutschland gäbe es gar nicht, hat auf dem Schöffenstuhl nichts zu suchen.

Neben dem, was das Gesetz vorsieht, gibt es eine Reihe von Kriterien, die nicht im Gesetz stehen, die jedoch zwingend erforderlich für Schöffen sind:

Gesundheitliche Eignung

 

Man muss auch gesundheitlich geeignet sein. Das hört sich lapidar an. Aber ich werde immer wieder gefragt: "Ich bin gerade wegen Erwerbsminderung vorzeitig in Rechte gegangen. Kann ich mich jetzt dem Schöffenamt widmen?" Da muss man dann genau schauen: was heißt es denn, vollständig erwerbsgemindert zu sein?  Es heißt, dass man gesundheitlich nicht in der Lage ist, sich länger als maximal drei Stunden am Tag der Arbeit zu widmen.

Als Schöffe sitzt man mit Sicherheit an einem Verhandlungstag länger als drei Stunden. Wer diese Zeit nicht konzentriert an der Verhandlung mitwirken kann, ist aus gesundheitlichen Gründen für das Schöffenamt nicht geeignet.

Ausschlussgrund Insolvenz

 

Man darf nicht insolvent sein. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme [gegen Bestechlichkeit von Schöffen, Anm. d. Red.]. Solche Kriterien stellt das Gesetz auf, die werden überprüft.

Soziale Kompetenz und Menschenkenntnis

 

Zentral ist: man muss über soziale Kompetenz verfügen, über Menschenkenntnis sowie über Berufs- und Lebenserfahrung. Denn man muss Tatsachen bewerten, ob sie wahr oder falsch sind.

Man muss Menschen bewerten – sowohl auf die Wahrheit dessen hin, was sie erzählen als auch auf ihre Motivation hin, warum sie möglicherweise etwas getan oder nicht getan haben. Man muss sehr genau erkennen können, warum jemand bockig antwortet. Ist er jemand, bei dem Hopfen und Malz verloren ist?  Oder ist er jemand, der um seine Position kämpft?

Deutsche Sprache und Kommunikationsfähigkeit

 

Im Gesetz steht, man muss die deutsche Sprache beherrschen. Dazu gehört mehr, als deutsch zu sprechen [...] Wenn das Gericht nicht-öffentlich darüber diskutiert: Welche Argumente, welche Tatsachen, welche Vorgänge deuten auf die Schuld des Angeklagten? Welche Argumente sprechen dagegen [...], da kommt es darauf an, logisch und diszipliniert zu argumentieren, Argumente des Anderen entgegenzunehmen.

Neutralität

 

[Als Schöffe] hat man unabhängig, neutral und vorurteilsfrei zu sein. [...] Die Gerichtsverhandlung ist eine Entscheidung im Einzelfall! Der einzelne Mensch zählt. Zu welchem Geschlecht, zu welcher Nation, aus welcher Gegend er kommt, spielt überhaupt keine Rolle. Der oder die einzelne Angeklagte steht hier zur Beurteilung und ihnen muss man vorurteilsfrei gegenübertreten.

Zentral meiner Meinung nach ist: man muss über soziale Kompetenz verfügen, über Menschenkenntnis sowie über Berufs- und Lebenserfahrung. Der Schöffe muss in der Lage sein, seine eigene Meinung zu vertreten, zu begründen und zu behaupten. Aber er muss gleichzeitig andere Argumente aufnehmen, prüfen und gegebenenfalls akzeptieren können.

Das heißt, wer die formalen Voraussetzungen erfüllt, kann Schöffe werden. Aber nicht jeder sollte es werden. Wenn ich mich um die Ausübung von Staatsgewalt in der Rechtsprechung bewerbe, dann hat das bestimmte Konsequenzen für mich, die ich mir gründlich durch den Kopf gehen lassen muss.

"Man muss deutlich sagen: Das Schöffenamt ist kein Zuckerschlecken und nicht immer ein reines Vergnügen. Das ist manchmal eine ausgesprochen schwierige Situation, die einem auch dann noch nachhängt, wenn man den Gerichtssaal verlassen hat." (Hasso Lieber)

Was darf ein Schöffe oder eine Schöffin?

Der Grundsatz ist: Die Schöffen sind Richter wie die Berufsrichter auch. Es gibt Abweichungen, die im Gesetz geregelt sind. Aber grundsätzlich gilt, der Schöffe darf Fragen stellen - an Zeugen, Angeklagte, Sachverständige. Er stimmt ab – mit gleicher Stimme wie der Berufsrichter. Jede Stimme zählt in gleicher Weise. Sie zählt nicht nur gleich, man ist auch verpflichtet, abzustimmen. Eine Enthaltung gibt es nicht. Es steht ihm frei, im Gericht zu sagen: "Ich schlage vor, XY als Zeugen zu hören." Er wirkt also aktiv am Verfahren mit.

Und welche Pflichten gibt es?

Den Rechte stehen auch Pflichten gegenüber. Die zentrale Pflicht des Schöffen ist, an der Gerichtsverhandlung, zu der er geladen ist, von der ersten bis zur letzten Sekunde teilzunehmen. Das kann manchmal problematisch sein. Wenn sich im Laufe der Verhandlung ergibt, dass man noch einen zweiten oder dritten Verhandlungstag braucht, dann muss sich der Schöffe darauf einstellen, dass er zu diesem zweiten oder dritten Verhandlungstag auch noch kommt. Nichts ist so wichtig, wie die Teilnahme an dem Gerichtsverfahren.

Hauptschöffen erhalten für ein Jahr im Voraus ihre potentiellen Termine mitgeteilt, darauf werden sie ausgelost. Darauf müssen sie ihre private Termingestaltung einrichten. Zum Beispiel: Wenn noch kein Urlaub gebucht ist, muss der Urlaub stattfinden, wenn keine Gerichtsverhandlungen zu erwarten sind. Wenn man krank ist, muss der Arzt bescheinigen, dass man verhandlungsunfähig ist. Wer sich verspätet, wer den Termin vergisst, muss damit rechnen, dass ihm ein Ordnungsgeld auferlegt wird: zwischen fünf und 1.000 Euro oder mehr, wenn zum Beispiel ein Sachverständiger von weit her extra angereist ist und der Termin nun nicht wie geplant stattfinden kann.

"Man muss Menschen bewerten – sowohl auf die Wahrheit dessen hin, was sie erzählen, als auch auf ihre Motivation hin, warum sie möglicherweise etwas getan oder nicht getan haben." (Hasso Lieber)

Das sind ja recht hohe Anforderungen für ein Ehrenamt...

Das soll nicht von der Bewerbung abschrecken. Aber jeder, der sich bewirbt, sollte sich vorher prüfen. Das Schöffenamt ist kein Ehrenamt, das man mal eben mal so mitnimmt. Das bestimmt zu einem Teil auch den Lebensrhythmus.

Anm.: Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung der Videointerviews von Schöffen TV mit Hasso Lieber (Februar 2023).

Rechtsstaat
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Demokratie bei Gericht

Recht geht uns alle an. Das Schöffenamt ist gelebte Demokratie. Bürgerinnen und Bürger entscheiden gemeinsam mit Berufsrichterinnen und -richtern über die Verurteilung oder das Strafmaß von Angeklagten. Jetzt kann man sich bewerben.

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