Grenzkriminalität

Die gefühlte Bedrohung aus dem Osten

Was hat Europa Brandenburg gebracht? Offene Grenzen und Kriminalität - so ein häufiges Bild in den Medien. Das Klischee vom polnischen Dieb hält sich hartnäckig. Dabei geraten die vielfältigen Projekte zwischen Polen und Brandenburg fast völlig aus dem Blick.

Blick über die Oder in Richtung Polen
© LISUM

Blick über die Oder in Richtung Polen. 

"Papa, ich glaub, da wird grad dein Trecker geklaut". In der brandenburgischen Uckermark, im Grenzgebiet zu Polen, hört man solche und ähnliche Warnungen fast wöchentlich, sagen zumindest Unternehmer aus der Region. Vom Rasenmäher über Dünger bis zu schwerer Landtechnik, die bis zu 150.000 Euro kosten kann, werde alles gestohlen.

In ihrer Existenz bedroht und von der Politik alleingelassen, fühlen sich die Betroffenen. Sollten die Grenzen nicht wieder geschlossen werden? Auch darüber wird inzwischen laut in der Uckermark nachgedacht. Schauen Sie sich nur den Videotipp auf der rechten Seite an.

Brandenburg  + Polen = Europa

Brandenburg und Europa - schaut man sich die regionalen Medien an, gewinnt man den Eindruck, Europa habe für das Land nur Bedeutung, wenn es um das Nachbarland Polen geht und da wiederum scheint es vor allem um Grenzkriminalität zu gehen.

Warum? Seit 1992 werden die Interessen des Landes Brandenburg in Brüssel durch mehrere Abgeordnete vertreten. Diese Ebene ist jedoch ziemlich abstrakt. Brüssel ist weit weg – nicht nur von Brandenburg, sondern auch vom Bürger und seinen Problemen vor Ort.

Die Brandenburger haben Nachbarschaftsprobleme. Seit dem EU-Beitritt Polens und der Erweiterung des Schengen-Raums, der Grenzkontrollen überflüssig macht, nahm die Grenzkriminalität oder, wie es amtlich heißt, die grenzüberschreitende Kriminalität massiv zu. Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke sprach von einer "schwierigen Lage" in der Grenzregion zu Polen.

Zahlen, Fakten und ein Gefühl

Was steckt dahinter? Die Handwerkskammern von Cottbus und Dresden wollten es herausfinden und befragten 2011 Unternehmen im grenznahen Raum nach ihrem persönlichen Sicherheitsempfinden.* 

Liste der problematischsten Delikte. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Darstellung der Delikte, die von den befragten Unternehmen als besonders problematisch angesehen wurden.*

Im Ergebnis entstand eine Art Hitliste der gefühlten Bedrohung in grenznahen Gebieten zu Polen. Weit an der Spitze: der Diebstahl von Fahrzeugen und Baumaterial.

Die regionale Presse bestärkt das Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung durch entsprechende Berichte. So war in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) als ein Beispiel von vielen die Geschichte einer Unternehmerin im Spree-Neißekreis zu lesen, die sich jeden Morgen beim Betreten ihres Dachdeckerbetriebes die Frage stelle, ob erneut bei ihr eingebrochen worden sei.*

Die gefühlte "Bedrohung aus dem Osten" scheint mit Zahlen zur Grenzkriminalität übereinzustimmen, die für die Uckermark erhoben wurden.*

Demnach wurden im Jahr 2012 in der Uckermark insgesamt 10.500 Straftaten verübt, die unter den Sammelbegriff Grenzkriminalität fallen. Davon waren knapp 4.300 Diebstähle. Im Jahr 2011 waren es noch insgesamt 4.700. Auch die Anzahl gestohlener landwirtschaftlicher Maschinen ist leicht von 94 im Jahr 2011 auf 76 im Jahr 2012 zurückgegangen.

Anders verhält es sich mit Einbrüchen in Firmen. Wurden im Jahr 2011 noch 485 Fälle gemeldet, so waren es im Jahr 2012 schon 521 Fälle.

Auf der anderen Seite hat sich die Aufklärungsquote insgesamt positiv verändert. 2012 konnte mehr als die Hälfte (54 Prozent) aller Straftaten aufgeklärt werden. Im Jahr zuvor waren es nur 51 Prozent.* Offenbar reicht dies aber nicht aus, um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen.

Mehr Polizei, mehr Kontrollen, mehr Grenzen - rufen daher die Unternehmen. Die Regierung hält dagegen, die Bereitschaftspolizei sei dauerhaft im Einsatz und eine deutsch-polnische Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaften eingerichtet. Diese kleinen Teilerfolge können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das lange angekündigte Polizeiabkommen zwischen Polen und Deutschland noch immer nicht abgeschlossen wurde.*

Weichenstellung in Brandenburg: Europa, das ist Grenzkriminalität, wobei Kriminalität für Polen steht?

Ein anderer Blick

Google wirft zum Suchbegriff „Grenzkriminalität Brandenburg“ knapp 12.000 Treffer aus. Die Anfrage „Austausch Brandenburg Polen“ hingegen bringt 290.000 Treffern und „Beziehung Brandenburg Polen“ sogar über sechs Millionen Treffer.

Lässt man einmal beiseite, dass die Suchanfragen unterschiedlich konkret formuliert waren, so ist doch allein die hohe Zahl zum Begriff "Austausch" schon ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Perspektive verändern kann, wenn man den Blick auf andere Bereiche im deutsch-polnischen Verhältnis als die Grenzkriminalität lenkt.

Schon diese kleine Veränderung des Blicks kann zeigen, wie wenig der Diebstahl von Traktoren mit dem polnischen Nachbarland insgesamt zu tun hat. Im Gegenteil, sie zeigt die unglaubliche Vielfalt eines kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs.

Ein Beispiel aus der Schule: Das brandenburgische Bildungsministerium ist beteiligt an der Entwicklung eines gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtslehrbuches. Im Frühjahr 2012 hat die konkrete Arbeit an den einzelnen Bänden begonnen. Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

Ein Beispiel aus der Wissenschaft: Allein die Universität Potsdam unterhält im Rahmen des ERASMUS-Programms Partnerschaften zu 16 polnischen Universitäten. Hinzu kommen Gastvorträge polnischer Kollegen und Forschungsaufenthalte polnischer Doktoranden.

Ein Beispiel aus der Freizeit: Ganz zwanglos kommen Bewohner der Grenzregion bei deutsch-polnischen Stammtischen zusammen, die von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Brandenburg (DPG) organisiert werden. Zum anfänglichen deutsch-polnischen Stammtisch, der seit 2009 regelmäßig in Potsdam stattfindet, gibt es seit kurzem einen polnischen Stammtisch in Potsdam, der Gelegenheit bietet sich einen Abend lang auf polnisch zu unterhalten. Daneben bietet die DPG diverse Themenabende an, die sich beispielsweise der Frage widmen, wie man am besten die jeweils andere Sprache erlernen kann.

Vorurteile: Obwohl die Mehrheit der polnischen Bevölkerung nicht nach Brandenburg kommt, um Traktoren und Baumaterialien zu stehlen, findet sich das Bild vom polnischen Dieb immer wieder in der öffentlichen Meinung.

Eine große Rolle in den Vorstellungen, die man vom "Anderen" hat, spielen Vorurteile. Diese sind nur schwer aus den Köpfen der Menschen zu bekommen, machen sie es doch scheinbar leicht, die Welt für sich zurecht zu ordnen.

Die herausragende Rolle, die die Grenzkriminaltität in der Berichtserstattung der Medien spielt, frischt diese Vorurteile immer wieder auf. Doch auch positive Berichte in den Medien könnten auf lange Sicht nicht das erreichen, was persönlicher Austausch kann: Den Anderen auf Augenhöhe wahrzunehmen und dabei über das eigene Menschenbild und mögliche Vorurteile nachzudenken.

Tanja Zakrzewski (Februar 2013)

Die Autorin studiert Military Studies an der Universität Potsdam.

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Kommentare

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Danke für den gelungenen Beitrag. So ärgerlich und problematisch das Problem der Grenzkriminalität für die Betroffenen ist, ist es wichtig den Blick nicht zu verkürzen. Polen  ist ein sehr interessanter und sich gut entwickelnder Partner Brandenburgs in Europa. Darauf hin zu weisen lohnt sich immer.

das ist ja wieder mal so ein richtiger Gutmenschschreib und alles politisch korrekt. der kommentar dazu genau so. komplett an der realität vorbei. Wenn man nich betroffen ist, kann man leicht predigen.

 Ich habe anderthalb Jahre nicht nur an der polnischen Grenze, sondern in Polen gewohnt - und hatte nie Probleme mit Kriminalität. Darauf hinzuweisen, dass die überwältigende Zahl der Polen keine Diebe sind, ist als "Gutmenschentum". Aber Sie sind sicher einer derjenigen, der sich am lautesten aufregt, wenn Deutschland auf bestimmte Teile seiner Geschichte reduziert wird - Sie können ja als Nachgeborener nichts dafür, gell? Dass die überwältigende Anzahl der Polen auch nichts für die paar schwarzen Schafe kann, ist dann nebensächlich. Super Doppelmoral.

Ach so, informieren Sie sich mal, aus welcher Ecke der Begriff "Gutmensch" kommt - und wundern Sie sich dann nicht, wenn Sie in diese Ecke geschoben werden.

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