Volksabstimmungen

In Deutschland funktioniert direkte Demokratie bisher ausschließlich auf Landesebene (Volksentscheide) und auf Kommunalebene (Bürgerentscheide). Die Bürger haben die Möglichkeit, einen bestimmten Sachverhalt auf die Agenda zu setzen und eine Entscheidung herbeizuführen.

Adler  ohne Wlan
© Tomicek

Nur wenige Verfahren der demokratischen Willensbildung und Entscheidungsfindung werden bis heute so gegensätzlich beurteilt wie die der direkten Demokratie. Auf der einen Seite gelten sie als Ursache von Problemen in der demokratischen Gesellschaft, auf der anderen gerade als ihre Lösung. Politiker und Wissenschaftler finden gleichermaßen Argumente für und gegen die Stärkung direkter Demokratieinstrumente.

Neue Plattform in Brandenburg
Unterschriftensammlung
Volksinitiativen mobilisieren im Netz

Weil Corona das Unterschriftensammeln auf der Straße erschwert, gehen Brandenburger Volksinitiativen nun neue Wege. Sie werben gemeinsam im Internet - auch wenn das die Unterschrift auf dem Papier nicht ersetzt.

brandenburg-mitbestimmen.de

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz in Artikel 20. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, bestimmt Absatz 2. Dennoch sind Volksabstimmungen auf Bundesebene nicht vorgesehen - abgesehen von einer Ausnahme: soll das Bundesgebiet neu gegliedert werden, ist ein Volksentscheid in den betroffenen Ländern nötig. So regelt es Artikel 29 des Grundgesetzes.

Um bundesweite Volksentscheide durchführen zu können, muss das Grundgesetz geändert werden. Dazu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Bislang wurden dafür mehr als 10 Vorstöße im Bundestag unternommen. Keiner erreichte jedoch die notwendige Mehrheit. Auch die Parteien, die in der aktuellen Legislaturperiode im Bundestag sitzen, vertreten unterschiedliche Position in der Frage von bundesweiten Volksentscheiden.

Die grundlegende Frage, die sich hinter der Debatte verbirgt, ist das Nachdenken darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Damit verbunden sind wichtige Mechanismen der bisherigen politischen Grundlagen. Ist die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen, noch zeitgemäß? Kann auf Bundesebene gelten, was inzwischen in allen Bundesländern auf Landes- und Kommunalebene gesetzlich geregelt ist: die politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger durch direktdemokratische Verfahren?

Und selbst wenn es eine gesetzliche Regelung für bundesweite Volksabstimmungen geben sollte, was hätten die Bürger davon? Die Erfahrungen auf Landes- und Kommunalebene zeigen, wie schwierig direkte Demokratie sein kann, denn die Hürden liegen hoch und der Weg ist lang.

Zunächst einmal kann nicht über alle Bereiche abgestimmt werden. Haushaltsfragen sind generell von Volksentscheiden ausgeschlossen, da diese Entscheidungen ein hohes Parlamentsrecht darstellen. Auch EU-Belange können keinem Volksentscheid unterzogen werden. Dazu kommen unterschiedliche Festlegungen in jedem Bundesland darüber, wie viele Unterschriften nötig sind (Quoren), um eine Volksabstimmung überhaupt in Gang zu setzen oder wo die Unterschriften gesammelt werden dürfen. Das alles führt dazu, dass direkte Demokratieprozesse in Deutschland nur schwer in Schwung kommen.

Ernüchterung in Brandenburg

Ín Brandenburg setzt sich unter anderem der Landesverband Mehr Demokratie e.V. für eine Stärkung der direkten Demokratie ein. Und dessen Bilanz ist keine Erfolgsmeldung:

Bei der Verabschiedung der Brandenburger Verfassung 1992 wurde inspiriert durch die Bürgerrechtsbewegung mehr Demokratie versprochen. Nach mehr als 20 Jahren praktischer Erfahrungen mit direkter Demokratie ist Ernüchterung eingetreten. Noch nie konnte ein Volksentscheid von den Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg gebracht werden und auf kommunaler Ebene lassen unnötig hohe Hürden Bürgerbegehren oftmals scheitern. Über kommunale Bauprojekte dürfen die Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst abstimmen. Damit liegt Brandenburg im Ländervergleich weit hinten.

Der Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, die nach seiner Meinung zu hohen Hürden für eine erfolgreiche Volksabstimmung zu senken. Brandenburg sei das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem Unterschriften nicht frei auf der Straße, sondern in einer Behörde geleistet werden muss. Das Zustimmungsquorum von 25 Prozent beim Volksentscheid müsse gestrichen werden. Wie bei Wahlen soll die Mehrheit entscheiden. Bayern habe damit gute Erfahrungen gemacht. Außerdem soll das Haushaltstabu gelockert werden, weil alle Entscheidungen in der Regel Kosten nach sich ziehen.

Volksabstimmung
© Mehr Demokratie e.V.

Geht eine Initiative einen erfolgreichen Weg, kommt es zu folgendem Verlauf:

Verlauf einer Initiative auf Landesebene (vereinfachte Darstellung)

 

Verlauf einer Initiative auf Landesebene (vereinfachte Darstellung)

Leider werden selbst erfolgreiche Entscheide nicht immer vom Parlament anerkannt. 1998 kam es in Schleswig-Holstein zu einem positiven Volksentscheid über die Rücknahme der Rechtschreibreform. Ein Jahr später machte der Landtag den Beschluss wieder rückgängig. In Baden-Württemberg verhinderte die CDU-Fraktion am 21. Juli 2011 die Herabsetzung der Mindestbeteiligung bei einer Volksabstimmung. Hintergrund war der geplante Volksentscheid zum Projekt Stuttgart 21.

Es gibt nur wenige positive Beispiele für erfolgreiche Volksentscheide. Die Abstimmung zum Nichtraucher-Schutz-Gesetz in Bayern und die Schulreform in Hamburg gehören dazu. Um von einer lebendigen Demokratie sprechen zu können, reichen sie nicht aus.

In Brandenburg gelang es der Volksinitiative "Nachtflugverbot" im Dezember 2012 erstmals, ein Volksbegehren zum Erfolg zu führen. Mehr als 100.000 Unterschriften wurden gesammelt, deutlich mehr als die geforderte Mindestzahl von 80.000. Unmittelbare Folge: Der Potsdamer Landtag muss sich erneut mit der Thematik befassen. Trotz dieses Erfolges bemängeln Kritiker die noch immer bestehenden hohen Hürden. Weist der Landtag die Forderung der Lärmgegner erneut zurück, könnten die Initiatoren innerhalb von fünf Monaten einen Volksentscheid beantragen. Dafür müsste allerdings neben der Mehrheit der Abstimmenden im Landtag ein Viertel aller Wahlberechtigten einem Nachtflugverbot zustimmen (356.000 Wahlberechtigte).

Direkte Demokratie auf kommunaler Ebene

Auf kommunaler Ebene sind die Erfahrungen mit direkter Demokratie noch sehr jung. Mittlerweile sind sie in allen deutschen Gemeinden möglich. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg im Jahr 1956 Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt. Die anderen Bundesländer zogen im Laufe der 90er Jahre nach. Einzig Berlin führte Entscheidungen auf Bezirksebene erst im Jahr 2005 ein.1

Ein Bürgerbegehren ist ein Antrag an die Gemeindevertretung, einen Bürgerentscheid durchzuführen. Ein Bürgerentscheid ist die folgende Abstimmung der Bürgerinnen und Bürger über eine kommunalpolitische Sachfrage. In Deutschland werden jährlich etwa 300 Bürgerbegehren eingereicht.

Sie sind dabei keine eigenständigen und "frei schwebenden" Beteiligungsformen, sondern festgeschriebene Politikinstrumente innerhalb der repräsentativen Demokratie.2  Somit bereichern sie die repräsentative Demokratie und gefährden sie nicht. Von einer Bedrohung zu sprechen, wäre schon deshalb übertrieben, da wie auf Landesebene die Themenbereiche, über die entschieden werden kann, durch Gemeindeparagraphen beschränkt sind.

Die Anzahl der Bürgerbegehren und -entscheide lässt auf eine aktive kommunale Bürgerschaft schließen und zeigt, dass das Beteiligungsinstrument gut angenommen wird, in einigen Bundesländern mehr, in anderen weniger. Auffallend ist, dass, obwohl Baden-Württemberg rund 40 Jahre Vorsprung auf sein Nachbarland Bayern hat, die bayrische Bevölkerung schon dreimal so viele Bürgerbegehren und -entscheide durchgeführt hat.

Schlusslicht bei der kommunalen Beteiligung ist das Saarland. In 15 Jahren gab es dort nur 14 Bürgerbegehren und nicht einen Bürgerentscheid. Die Ursachen können vielfältig sein. Einerseits machen es die unterschiedlichen Gemeindeordnungen der einen Bürgerschaft schwerer ein Begehren anzustreben als anderen. Auch die Beschränkung der Themen ist eine Ursache.

Für eine lebhafte direkte Demokratie braucht es jedoch auch eine lebhafte, aktive und über ihre Möglichkeiten informierte Bürgerschaft, die bereit ist, den oft mühsamen Gang von Initiative, Begehren und Entscheid zu gehen.

Es ist ein gefährliches Signal, wenn die Wünsche der Bürgerschaft schon bei einfachen Namensgebungen übergangen oder schlichtweg ignoriert werden. Demokratisches Handeln funktioniert anders.

In Deutschland sind direkte Demokratieverfahren bisher ausschließlich auf Landes- und Kommunalebene über Volksinitiativen, -begehren, -entscheide (Landesebene) oder Bürgerinitiativen, -begehren, -entscheide (Kommunalebene) gesetzlich geregelt. Sie geben dem Volk die Möglichkeit, einen bestimmten Sachverhalt auf die Agenda zu setzen und gegebenenfalls eine Entscheidung darüber herbeizuführen. Die Bürger treten selbst an die Stelle des parlamentarischen Gesetzgebers. Jedoch können auch die Landtage ein Gesetz zusätzlich dem Volk zur Abstimmung vorlegen und per Referendum bestätigen lassen.

Katrin Schulze, August 2011

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