Freiwilligenarbeit und Ehrenamt

Brandenburg belegt im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements regelmäßig einen Spitzenplatz im Osten Deutschlands. Der Beitrag der Zivilgesellschaft für das Wohlfühlen in einer Gesellschaft ist unbezahlbar. Solidarität, Empathie und Barmherzigkeit sind eben nicht käuflich!

Helfende Hand
© John Dow / photocase.de

Helfende Hände werden in vielen Bereichen gebraucht. 

»Und wenn meiner (gemeint war der Ehemann) dann mal nicht mehr ist, dann geht’s erst richtig los – mit meinem Engagement …«

Dies war das Originalzitat einer rüstigen Seniorin in der Fontanestadt Neuruppin. Geantwortet hatte die Engagierte dem damaligen und ob der Antwort gänzlich verdutzten Ministerpräsidenten Matthias Platzeck auf dessen Frage, wie lange sie ihr Engagement trotz des hohen Alters eigentlich noch ausüben wolle. Auf sogenannten Ehrenamts-Stammtischen im kleinen Kreis kommt man zusammen. Dort können Freiwillige sagen, wo der Schuh drückt und wie es so läuft mit dem Ehrenamt in der Mark. Engagierte fühlen sich ernst genommen, können unbehindert von beschwichtigenden Referenten dem Regierungschef die Meinung sagen.

Internationaler Tag des Ehrenamts

Helfen statt hassen
(Deutsche Welle, 5.12.17) 

Ehrenamt Brandenburg
Hunderttausende engagieren sich für das Gemeinwohl (MAZ, 3.12.17)

Dies mag nur ein kleiner Mosaikstein im Gesamtwerk des bürgerschaftlichen Engagements in Brandenburg sein – beileibe aber kein unwichtiger. Vielleicht ist es mit ein Grund, warum es besser läuft als anderswo, obgleich alle ostdeutschen und westdeutschen Landesregierungen eng in der Engagementpolitik zusammenarbeiten, jenseits politischer Farbenlehre. So gibt es Freiwilligenpässe und Ehrenamtsempfänge mittlerweile bundesweit. Brandenburg belegt im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements regelmäßig einen Spitzenplatz im Osten Deutschlands. Das zeigt die offizielle statistische Erhebung der Bundesregierung, der sogenannte Freiwilligen-Survey. Warum das so ist, welche Gründe dies vielleicht haben mag, soll im Folgenden erklärt werden.
 

Von der Nachbarschaftshilfe zur Freiwilligenarbeit

Freiwilligenarbeit oder ziviles Bürgerengagement gab es zu DDR-Zeiten nicht, oder es wurde zumindest nicht so benannt. Hintergrund für dieses Verhalten war die Allmächtigkeit des DDR-Staates, der das Leben »seiner« Bürgerinnen und Bürger von der Geburt bis zur Bahre vermeintlich fürsorglich vorbestimmte. In Wirklichkeit gab es aber dennoch bürgerschaftliches Engagement, getarnt als vielfältige Formen von Nachbarschaftshilfe. Man half sich, ließ den anderen nicht hängen. Nach der Wende waren viele Brandenburgerinnen und Brandenburger erst einmal mit sich selbst beschäftigt. Neue Berufe mussten erlernt, neue Aufgaben gemeistert und Jobs gefunden werden. Dies nahm Zeit und Kraft in Anspruch. Das bürgerschaftliche Engagement entwickelte sich quasi nebenher – und doch unaufhaltsam. So steigerte sich die Engagementquote von 28 Prozent im Jahre 1999 auf 33 Prozent in 2009. Jede(r) dritte Brandenburger(in) ist mittlerweile engagiert.

Einmischen und mitgestalten!
Blick in den Himmel mit Bäumen. Darauf der Text "Brandenburg - Im Rampenlicht"
© BLPB

Auf der Bühne, dem Fußballplatz oder bei der Feuerwehr – überall in Brandenburg engagieren sich junge Menschen, machen sich stark für unsere Gesellschaft. Wir stellen einige von ihnen vor.

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Engagementpolitik in Brandenburg, ja in ganz Deutschland ist vergleichsweise jung. Die öffentliche Beachtung ist erst seit kurzem en vogue. Wenn man eine Geburtsstunde nennen will, so kann man die Zeit um die Jahrtausendwende nennen. Eine Kommission des Deutschen Bundestages zur »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« legte 2002 Empfehlungen für staatliches Handeln in nahezu allen Politikfeldern vor. Engagementpolitik ist immer Querschnittspolitik. Es wird als die Aufgabe moderner Regierungspolitik angesehen, die Bedeutung des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern in der Alltagspolitik zur Geltung zu bringen. Dabei geht es immer auch um Teilhabe, um das Zulassen von Mitbestimmung. Es handelt sich bei Freiwilligen um Akteure, die ihre eigene Kultur, ihre eigenen Motive – Gutes zu tun – mit- und einbringen wollen.

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Engagementpolitik ist »Chefsache«

Einer angemessenen Geltung in der politischen Agenda muss dann auch eine Ausstattung mit staatlichen finanziellen Ressourcen folgen, ohne damit die Freiwilligen indirekt zu gängeln. Es wird den Erfolg einer engagementfördernden Politik ausmachen, die Freiwilligen so mit Mitteln auszustatten, dass sie staatsfern ihrem Eigensinn frönen und gleichsam für die Gesellschaft handeln können. In Brandenburg wurde das Engagement der Freiwilligen im Sport – es ist der größte Bereich – und im Bereich »Kindergarten und Schule« beziehungsweise im sozialen Bereich seit der Neugründung des Landes unterstützt.

Seit 2005 wird die Engagementpolitik der Landesregierung Brandenburgs in der Staatskanzlei koordiniert. Engagementpolitik ist »Chefsache«. Die am Schreibtisch des Ministerpräsidenten angedockte Koordinierungsstelle für bürgerschaftliches Engagement versucht, die einzelnen Freiwilligenbereiche zusammenzuführen. Das heißt, dass der Innenminister zwar weiter seine freiwilligen Feuerwehren und Katastrophenschützer fördert, und dass der Sportminister den Sport und die Jugend unterstützt. Wenn aber im Engagementbereich – wie etwa durch die vielen auch in Brandenburg Hilfe suchenden Flüchtlinge – Not am Mann ist, werden in der Staatskanzlei zusätzliche Mittel für die Willkommensinitiativen organisiert. Dies gelingt nur, wenn alle Ressorts mitziehen. So wurde zuletzt im Juli 2015 ein Fonds für Willkommensinitiativen für schnelle Kleinstförderungen aufgelegt: Hilfen für Helfer, die ankommen.

Die Koordinierungsstelle hat 2005 mit einer Bestandsaufnahme des Engagements in Brandenburg begonnen. Eine interministerielle Projektgruppe »Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement« identifizierte Themenschwerpunkte, die bis heute handlungsleitend für die Koordinierungsstelle sind:

  1. Ausbau einer (öffentlichkeits-)wirksamen Kommunikationskultur über bürgerschaftliches Engagement und Fortschreiben einer Anerkennungskultur
  2. die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure
  3. Entbürokratisierung des Verfahrens zur Beantragung von (Kleinst-)Fördermitteln
  4. Ausbau von Qualifizierungsangeboten
  5. Umgang mit dem demografischen Wandel

Eine Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Wirtschaft wird am »Runden Tisch für Jugend und Wirtschaft« organisiert. Hierbei handelt es sich um eine Plattform, die darauf abzielt, den Dialog zwischen Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen, Politik und Verwaltung zu verbessern. Zu einer zeitgemäßen Sicht auf Arbeit und Freizeit gehört bürgerschaftliches Engagement. Das wissen die im Runden Tisch organisierten Unternehmen. Große Firmen wie Rolls-Royce in Dahlewitz, aber auch kleine Bäckereien kennen die Bedeutung ihrer Unterstützung des Gemeinwohls, der sogenannten Corporate Social Responsibility.

Wunsch nach staatlicher Anerkennung

Relativ schnell wurden in Brandenburg wichtige Grundlagen der Freiwilligenarbeit geschaffen: ein umfassender landesweiter Versicherungsschutz dämmt die Risiken der Engagierten ein. Eine Website ehrenamt-in-brandenburg.de hält die Freiwilligen auf dem Laufenden und hilft bei der Vernetzung. Der Abbau von bürokratischen Hindernissen und die Fortentwicklung einer Kultur der Anerkennung standen von Beginn an ganz oben auf der Agenda.

Der Wunsch nach staatlicher Anerkennung wird auch in den Freiwilligensurveys von den Engagierten immer wieder erbeten und für wichtig erachtet. Wenn man nach den Erwartungen der Freiwilligen fragt, so liegen zwar Motive des »Etwas-für-das-Gemeinwohl-tun« oder des geselligen »Mitsympathischen-Menschen-zusammenkommen« etwas vordem »Dass-die-Tätigkeit-Anerkennung-findet«. Doch Anerkennung und Dank sind immens wichtig für das Weitermachen im Engagement. Dass die Tätigkeit zumeist auch Spaß macht, hat sich herumgesprochen. Fakt ist aber auch, dass Freiwilligenarbeit in vielen Bereichen echte Knochenarbeit ist. Die Arbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr oder als ehrenamtlicher Notfallseelsorger spricht ohnehin für sich. Hier setzen Engagierte ihr Leben für die Gemeinschaft aufs Spiel, bringen Angehörigen schlimmste Geschehnisse einfühlsam bei.

Nicht nur hier ist ein staatlicher Dank das Mindeste und ob des Einsatzes mehr als angemessen. Diesem Wunsch nach Anerkennung tragen die Koordinierungsstelle sowie alle großen Verbände des Landes wie zum Beispiel der Landessportbund, der Landesfußballverband und der Landesfeuerwehrverband mit einer Kultur der Anerkennung Rechnung. Dafür gibt es sehr verschiedene und abgestufte Formen: Dankes-Urkunden, der FreiwilligenPass, die Ehrenamtskarte des Landes, die eine Gemeinschaftsinitiative von Wirtschaft, Staat und Verbänden ist, bis hin zum Landesverdienstorden als höchster staatlicher Anerkennungsform. Der Ehrenamtler, die Ehrenamtlerin des Monats ist eine seit 2007 verliehene Auszeichnung des  Ministerpräsidenten. Geehrt werden Projekte mit landesweiter Vorbildfunktion und direktem Bürgerbezug.

Das Spektrum der Geehrten reicht von der Igel-Aufzuchtstation, über die ehrenamtliche Rettungshundestaffel bis hin zum Organisator von Benefizturnieren zwischen Fußball-Traditionsmannschaften. Mit dem oben genannten Freiwilligen-Survey stellte die Bundesregierung erstmals 1999 die repräsentative empirische Untersuchung über Art und Umfang des bürgerschaftlichen Engagements in ganz Deutschland vor. Die Landesregierung lässt seitdem auch immer eine Landesstudie erstellen, um über die Beweggründe für das Engagement in Brandenburg detailliert informiert zu sein. Dies dient auch dem Nachjustieren mancher Fördermaßnahme.

Jede(r) dritte Brandenburger(in) ist engagiert

Oft wird gefragt, warum der Anteil der Menschen, die sich freiwillig in Brandenburg engagieren, so überdurchschnittlich gewachsen ist. Mit 33 Prozent (+ 5 Prozent) seit 1999 hat Brandenburg ähnlich hohe Zuwächse wie Rheinland-Pfalz (+ 8 Prozent). Die Engagementquote liegt im Osten vorn, allerdings noch unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt von 37 Prozent. An der Spitze der Motive steht nach wie vor das Ziel, die Gesellschaft in Brandenburg im Kleinen mitzugestalten. Es besteht eine hohe Identifikation der Freiwilligen mit der Mark, mit ihrem Brandenburg. Weiter werden als Gründe das Zusammenkommen mit anderen Menschen und das gemeinsame Unternehmen benannt. Bei engagierten jungen Menschen und Arbeitslosen spielt das Motiv der Qualifikation und des beruflichen Nutzens eine große Rolle. Die Zivilgesellschaft zeigt sich hier als Einstiegshilfe. Erwähnt werden sollte auch noch die »Aufholjagd« der Frauen. Sie haben stetig zugelegt und befinden sich auf direktem Weg zur »Augenhöhe« mit den Männern (36 Prozent Männer und 28 Prozent Frauen; ab 46 Jahren).

Im Engagement gilt wie auch sonst im Leben: »Gemeinsam sind wir stark!« Als Meilenstein in der Vernetzung von Akteuren gilt die Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (LAGFA) im Jahre 2007 und in Ergänzung die Gründung des Landesnetzwerkes in 2013. Mit derzeit schon über 20 Freiwilligenagenturen und diversen regionalen Aktionsbündnissen verfügt Brandenburg über ein eng geknüpftes Engagement-Netzwerk. In erster Linie helfen sich dort die Engagierten gegenseitig bei der Durchführung von Projekten. Regelmäßige Fortbildungen durch unterschiedlichste Träger knüpfen die Maschen des Netzes enger. Die Zivilgesellschaft hat im Übrigen eine eigene ökonomische Basis, die nicht unbeachtlich ist. Ihr Beitrag für den Wohlstand und das Wohlfühlen in einer Gesellschaft ist unbezahlbar. Solidarität, Empathie und Barmherzigkeit sind eben nicht käuflich!
 

Alle Bereiche des Lebens dürfen neu gedacht werden

In Brandenburg werden in einigen Jahren erstmals weniger Menschen in der Peripherie, an den Rändern leben, als im Speckgürtel um Berlin oder Potsdam. Um den sozialen Zusammenhalt in den ländlichen Räumen der Uckermark, der Prignitz und der Lausitz zu stärken, betreibt die Landesregierung gemeinsam mit den Menschen eine Politik des Ausprobierens neuer Formen von Nachbarschaftshilfe und moderner Daseinsvorsorge. Mobilität wird zukünftig durch den Einsatz von Bürger- und Kombi-Bussen, in denen neben Fahrgästen auch Waren transportiert werden anders funktionieren. Alle Bereiche des Lebens vor Ort dürfen neu gedacht werden.

Erfreuliche Wellen von Rückkehrern bereichern das Land. Dies ist bei weitem nicht genug, um die Abwanderung zu kompensieren. Aber ein Lichtblick ist es allemal.

Die Beispiele von engagierten Brandenburgerinnen und Brandenburgern sind vielleicht ein Grund für den Bundespräsidenten gewesen, Brandenburg für 2015 als Partnerland seines Bürgerfestes zum Thema »Engagement und Demografie « zu gewinnen. Brandenburger berichteten von ihrer Arbeit zum demografischen Wandel, um wiederum andere zu ermutigen und ihnen zu zeigen, welch langer Atem gebraucht wird, zu schaffen, was der Staat allein nicht schaffen kann.

Eines ist und bleibt in diesem Zusammenhang wichtig: Das Ehrenamt braucht das Hauptamt und umgekehrt. Das Ehrenamt braucht unterstützende Strukturen, die auch mit Hilfe des Staates geschaffen und verstetigt werden. Trotz dieser staatlichen Vorausleistungen darf es letztendlich nicht dazu kommen, dass ureigene Aufgaben des Staates von Freiwilligen übernommen werden, um den öffentlichen Haushalt zu entlasten. Dies war und ist in der Freiwilligenpolitik des Landes parteienübergreifend Konsens. Damit schließt sich kein Kreis, obgleich »am Mute der Erfolg hängt«, wie Fontane den Märkerinnen und Märkern scheinbar ins Stammbuch schrieb. Es gibt noch viel zu tun, die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben damit zum Glück begonnen.

Manfred Bauer
Aus: Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 3. Auflage, Potsdam 2020

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