Die Kunst im Dorf lassen

Im Grunde ist es egal, in welche Himmelsrichtung man sich in Brandenburg aufmacht. Die Kunst lauert überall und nur scheinbar liegen die brandenburgischen Kleinstädte und Dörfer im kulturellen Dornröschenschlaf.

Giraffe im Storchennest
© Anne Baier, ByeByeSea.com

Giraffe im Storchennest? Kommt schon mal vor in Brandenburg... 

POTSDAM (dpa) Nach Erhebungen des statistischen Bundesamtes ist das Land Brandenburg das Bundesland mit den meisten Künstlerdörfern und Kulturscheunen. Nachdem um das Jahr 2015 in Berlin die Ateliermieten unerschwinglich wurden, zogen Künstler aus der Bundeshauptstadt in das Flächenland und gründeten wie schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Künstlerkolonien. Jedes dritte Dorf ist inzwischen überwiegend von Künstlern aller Sparten besiedelt.

Zugegeben, diese Pressemeldung ist frei erfunden. Aber es ist nicht so weit hergeholt, dass Künstlerinnen und Künstler im Land Brandenburg eine Heimat finden und in Zukunft finden werden. Nur scheinbar liegen die brandenburgischen Kleinstädte und Dörfer im kulturellen Dornröschenschlaf. An den Wochenenden, insbesondere in den Sommermonaten kommen die Berliner nicht nur wegen der saubereren Luft »int Jrüne«, sondern auch um Konzerte, Theatervorstellungen, Ausstellungen und Ateliers zu besuchen.

In den letzten 30 Jahren haben sich aus Geheimtipps und privaten Initiativen echte Zuschauermagnete entwickelt. Das Theater am Rand in Zollbrücke ist bundesweit bekannt, die Kunst-Loose-Tage ziehen hunderte von Besucherinnen und Besuchern ins Oderbruch, das auf der Landkarte kaum auffindbare Dorf Klein Leppin in der Prignitz macht Oper, Glashütte lädt zur Buchmesse ein. Oft ist schon an den Namen der Vereine und Projekte die Verbindung von Dorf und Kunst abzulesen: Kunstpflug, LandKunstLeben, Endmoräne, Galerie im Trafohaus, Rosengarten, Skulpturengarten, Kunstspeicher oder Kunstscheune.

Berlin war nah und weit genug

Auf ein Worpswede kann das Land Brandenburg nicht verweisen. Aber zeitgleich zog es auch hier Künstlerinnen und Künstler aufs Land oder doch zumindest vor die Tore Berlins, zum Beispiel in die Malerkolonie in Ferch. Orte, die heute zum Einzugsgebiet der S-Bahn gehören, lagen damals j.w.d. – janz weit draußen. Als Gerhart Hauptmann 1885 nach Erkner zog, fand er dort saubere Luft, die sein Lungenleiden bessern konnte. Die Gesundheit war ein Grund, die Großstadt zu verlassen. Aber es herrschte auch Platzmangel und am Rand von Berlin lebte man billiger. So kamen die Naturalisten nach Friedrichshagen und gründeten den berühmt gewordenen Dichterkreis, der Lebensreformer und Maler Fidus ließ sich 1906 in Woltersdorf nieder.

Dreht man die Uhr noch ein paar Jahre weiter zurück und besucht mit Theodor Fontane auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg die Schlösser und Herrenhäuser, so findet man Musenhöfe in Kunersdorf, Nennhausen und Wiepersdorf. In Kunersdorf bei Wriezen luden Helene Charlotte von Lestwitz und ihre Tochter Henriette Charlotte von Itzenplitz ein. Die Humboldts, Schadow, Rauch, Zelter und Savigny trafen sich hier. Adelbert von Chamisso betrieb im Sommer 1813 in Kunersdorf botanische Studien und schrieb seinen »Peter Schlemihl«.

Auf Schloss Nennhausen, das unweit von Rathenow zu finden ist, lebte das Ehepaar Caroline und Friedrich de la Motte Fouqué. Neben den Humboldts kamen Varnhagen, Tieck und E. T. A. Hoffmann als Gäste. Wiepersdorf, der Sommersitz von Bettina und Achim von Arnim, steht heute Stipendiaten des Landes Brandenburg zur Verfügung. Musiker, Autoren und bildende Künstler arbeiten hier ungestört an ihren Werken.

Auch zu DDR-Zeiten spülte vor allem in den 1970er Jahren eine weitere Welle Künstlerinnen und Künstler aus Ost-Berlin ins Umland. Zu der Zeit waren es die Bezirke Potsdam, Cottbus und Frankfurt /Oder, die die Hauptstadt der DDR umschlossen. Große abgelegene Höfe standen leer und boten mit Starkstromanschlüssen praktischen Nutzen für Keramiker. Berlin war nah und weit genug. Zwischen Großstadt und Land pendelte man zwischen aufregen und anregen, verarbeiten und vereinfachen, zwischen Licht, Lärm und Sternenhimmel.

Wenn die Kunst ins Dorf kommt

Professor Werner Stötzer war einer der ersten, die ins Oderbruch zogen. Bald stellten noch mehr Bildhauer ihre Skulpturen in die flache Landschaft, die wie eine Bühne wirkt. In Altlangsow, wo sich Stötzer gemeinsam mit der Künstlerin Sylvia Hagen niederließ, sorgten die beiden gemeinsam mit Kollegen dafür, dass das alte Schul- und Bethaus rekonstruiert wurde und richteten darin eine Galerie ein, die mittlerweile seit 30 Jahren besteht. Auch Erika Stürmer-Alex, Doret-Nanet Grzimek, Christiane Wartenberg, Anka Goll, Jörg Engelhard, Sophie Natuschke, Stefan Hessheimer und viele andere zogen ins Oderbruch oder in eines der am Rande gelegenen Dörfer. Alljährlich öffnen sie zu den Kunst-Loose-Tagen im Mai ihre Ateliers.

Stefan Hessheimer kombiniert in seiner Galerie Koch und Kunst in Groß Neuendorf seine Foto- mit der Kochkunst. Er bietet Ausstellungen, Seminare und Events an, in denen sich alles um Kunst und Essen dreht. Erika Stürmer-Alex lädt auf ihren Kunsthof in Lietzen bei Seelow zu Workshops ein und hat 1993 die Initiative ergriffen für jährlich stattfindende Ausstellungen in leer stehenden Gebäuden unter dem Titel »Endmoräne«. Ausgehend von Lietzen bewegte sich das Projekt in umliegenden Dorfkirchen, in Galerien und Schlössern von Zehdenick bis Altranft.

Ebenfalls aus einer kleinen Zelle, einem Wohnzimmer, entwickelte sich das Theater am Rand von Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann. Morgenstern fand wenige hundert Meter vor der deutsch-polnischen Grenze in Zollbrücke ein Haus und ein Grundstück, auf dem er sich von der Hektik des Bühnenlebens erholen wollte. 1998 führte er vor Freunden in seinem Wohnzimmer ein Stück auf. Aber mehr und mehr Besucherinnen und Besucher wollten es sehen, die Vorstellungen verloren den privaten Charakter. Es sind Arbeitsplätze entstanden und das Theater am Rand ist ein Ort, an dem die Probleme diskutiert werden, die vor den Haustüren in den Oderbruchdörfern liegen: Landwirtschaft, Energie, Ernährung, Infrastruktur, Hochwasser. »Randthemen « nennt man das hier.

Ein weiteres Refugium für Kunst und Künstler findet sich weiter nördlich, die Uckermark. Eh schon dünn besiedelt leidet die Region, deren Zentrum Prenzlau ist, seit 1990 unter der massiven Abwanderung der Bevölkerung. Es fehlt an Arbeitsplätzen zwischen Schwedt, Angermünde und der Mecklenburger Seenplatte. Mit dem Wegzug der Menschen wird die Infrastruktur unbezahlbar und damit unhaltbar. Kindereinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, der öffentliche Nahverkehr, alles wird auf Sparflamme betrieben.

Wenn die Kunst ins Dorf kommt, ist das eine willkommene Abwechslung, es kann sogar mit Zuzüglern und Familien mit Kindern gerechnet werden. Beweis dafür ist Wallmow nahe der Grenze zu Mecklenburg Vorpommern mit dem Verein Zuckermark e. V., der nicht nur die Schule und die Kita im Dorf gelassen hat, sondern auch die Jugendkunstschule »flur 1« gründete, ein Samenkorn für künftige Künstlerinnen, Künstler und Kunstprojekte.

Alle zwei Jahre wird um die Dörfer Fergitz, Pinnow und Sternhagen zum »UM Festival« für zeitgenössische Kunst, Musik und Literatur eingeladen. Der Bildhauer Tzille hat in Groß Fredenwalde seinen Skulpturengarten geschaffen, in dem Besucherinnen und Besucher unter dem Schutz von Göttern verweilen können. Im Stall des Dorfes organisiert die Bildhauerin, Beuys-Schülerin und Professorin Inge Mahn Ausstellungen, zu denen die Dorfbewohner Exponate beisteuern. Zum Beispiel die Bilder aus dem eigenen Wohn- oder Schlafzimmer.

Westlich der Uckermark liegt die Prignitz. Auf dem Weg dorthin bietet sich ein Abstecher über Bergsdorf bei Zehdenick an, wo der Maler Kurt Mühlenhaupt einen alten Gutshof zu Atelier, Druckerei und Veranstaltungsort für Konzerte, Ausstellungen und Lesungen ausgebaut hat.

Aber die Prignitz: Noch so ein Landstrich, der scheinbar am Rand der Welt liegt, den man durchqueren muss, wenn man von Berlin an die Ostsee will. Wer nicht nur an der Autobahn eine kurze Pause einlegt, kann in Netzeband beim Theatersommer zuschauen, wie Richard III. Intrigen spinnt. Die Naturbühne im Gutspark wird mit überdimensionalen Puppen bespielt, die zu den Stimmen berühmter Schauspieler vom Zuspielband bewegt werden. Synchrontheater nennt Frank Matthus diese Theaterform. Von 1996 bis 2014 war er künstlerischer Leiter des Theatersommers Netzeband. Danach hat er die Kammeroper Rheinsberg bis 2016 geleitet. Jedes Jahr locken die großen Puppen hunderte Besucherinnen und Besucher an und das Stück »Unter dem Milchwald« nach Dylan Thomas ist längst Kult geworden.

Oper im Schweinestall

Etwas weiter westlich, mitten in der Prignitz, macht das Dorf Klein Leppin an einem Wochenende im Sommer Oper im Schweinestall. Das Projekt von Festland e. V. war 2011 ein ausgewählter Ort im Rahmen der Kampagne »Deutschland. Land der Ideen«. Natürlich grunzen die Schweine nicht im Takt zur Opernmusik. Der Stall ist längst verlassen. Vielmehr wächst die Zahl der Chormitglieder in dem Dorf, das nur rund 60 Einwohnerinnen und Einwohnern hat. Was 2003 von der Innenarchitektin Christina Tast als Experiment begonnen wurde, treibt immer neue Blüten. 2015 überlegten die Aktiven im Verein, was mit einem Leutewagen, der eigentlich für Pausen am Feldrand genutzt wird, alles gemacht werden kann: Internetcafé, Geschichten sammeln, Rentner- und Jugendtreff, Büchertausch …

In Strodehne, das genau genommen schon zum Havelland gehört, fördert der Verein WerkFreunde Kunst und Alltagskultur. Das Kunsthaus, von dem der Skulpturenpfad »Landmarken« ausgeht, kann als Seminarhaus angemietet werden. Der Verein führt hier Workshops, Veranstaltungen und Ausstellung durch und lädt in den Sommermonaten zu Konzerten in die Dorfkirche ein. In Strodehne wirkte auch Bernhard Heisig, einer der bekanntesten Maler der DDR. Seine Frau, die Malerin und Grafikerin Gudrun Brüne lebt und arbeitet immer noch hier, inzwischen haben sich weitere Künstler niedergelassen.

Näher an Berlin liegt Perwenitz, ein Dorf mit einem auffallenden dreistöckigen Gebäude. Hier wurde früher Mehl gemahlen. 1995 kauften Gudrun Venter und Jürgen Hägele das Anwesen und richteten Werkstätten und ein Atelier ein. Mit der Gründung des Vereins Kulturmühle Perwenitz e. V. war es möglich, das Gebäude zu erhalten und mit Ausstellungen, Lesungen und Film- und Gourmetabenden öffentlich wirksam zu werden. Zum Vorstand des Vereins gehört auch Susanne Pomerance, deren Atelier sich in Birkenwerder befindet. Hier malt die MOZ-Kunstpreisträgerin von 2014 ihre überwiegend schwarz-weißen Landschaftsbilder und gibt Kurse für Erwachsene.

Auf dem Weg weiter ins südliche Brandenburg liegt das Dorf Viesen mit dem Lehnschulzenhof. Auf dem Vierseithof von 1730 mit Fachwerkgebäuden wird Pferdezucht betrieben und seit 2008 auch Theater gespielt. Die Anlage des Hofes reizte die Besucherinnen und Besucher, hier Theater zu spielen, bei einmal blieb es dann nicht.

Wandern und Kunst können Besucher im Hohen Fläming zwischen Wiesenburg und Bad Belzig auf dem Kunstwanderweg miteinander verbinden. Der Kunstsommer Hoher Fläming lädt darüber hinaus zu Ausstellungen, Workshops und Konzerten ein und auch hier hat sich eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern niedergelassen. Ebenfalls im öffentlichen Raum werden alljährlich die Kunstwerke der Aquamediale im Spreewald gezeigt. Internationale Künstler setzen ihre Kunstwerke in Beziehung zur Landschaft. 2019 fand sie zum 13. Mal statt.

Lesetipp

Kunstpreis für Brandenburger

Sogar die GEDOK, der Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer, hat ihren Sitz nicht in der Landeshauptstadt sondern in Rangsdorf, im Speckgürtel von Berlin, wo sie eine Galerie betreibt. Projekte finden landesweit statt. Zum Beispiel in der ehemaligen Hutfabrik in Luckenwalde, im Schloss Altranft oder im Gutshaus Geisendorf am Rand des Tagebaus Welzow-Süd. Einige der in der GEDOK im Land Brandenburg organisierten Künstlerinnen, aber nicht nur sie, wurden mit einem besonderen Kunstpreis ausgezeichnet, dem MOZ-Kunstpreis. MOZ steht für Märkische Oderzeitung, die Tageszeitung, deren Hauptsitz sich in Frankfurt (Oder) befindet und die vor allem im Osten Brandenburgs gelesen wird.

In Kooperation mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg und unter Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten vergibt sie seit 2004 jährlich je einen Kunstpreis für Malerei, Grafik und Kleinplastik. Seit 2012 verleiht das Kulturministerium einen Förderpreis in Form eines Stipendiums für Nachwuchskünstler und seit 2008 stiftet der Ministerpräsident einen Ehrenpreis für das Lebenswerk eines Künstlers. Ausschließlich Künstler aus dem Land Brandenburg können sich um diese Preise bewerben. Eingereicht werden jeweils Arbeiten, die im Vorjahr entstanden sind. In einer Ausstellung im Schloss Neuhardenberg werden die prämierten Arbeiten gezeigt.

Kurzum, im Grunde ist es egal, in welche Himmelsrichtung, welche Region man sich in Brandenburg aufmacht. Die Kunst, sie lauert überall.

Carmen Winter
Aus: Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 3. Auflage, Potsdam 2020

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