Der Mauerbau am 13. August 1961 steht wie kein anderes Symbol für die menschliche Dimension der deutschen Teilung. Wie jede Generation mit der Geschichte umgeht, lässt sich jedoch nicht verordnen. Die Elterngeneration kann der nachfolgenden jeweils nur Angebote unterbreiten.
Erlebnislandschaft Grenze
Von der Berliner Mauer stehen nur noch wenige Meter. Am Check Point Charlie, dem wohl bekanntesten Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin im Kalten Krieg, drängen sich die Touristen für ein Foto in russischer Uniform, zwischen Abzeichen, Spiel-Pässen und amerikanischen Fahnen. Trotz harscher Kritik an dieser Art von privater Rummelplatz-Erinnerungskultur hat sich daran nicht viel geändert.
Sybille Frank, Wissenschaftlerin an der Universität Darmstadt, kritisierte schon vor einigen Jahren die zögerliche Haltung von Politik und Wissenschaft gegenüber einer erlebnisorientierten Geschichtsvermittlung. Ein Schritt in diese Richtung wurde aber in Berlin getan: die Gedenkstätte Berliner Mauer ist inzwischen zu einer "Erlebnislandschaft" umgebaut worden*.
Es geht im Kern darum, die Menschen zu erreichen. Mit den nüchternen Fakten des Mauerbaus allein scheint dies nicht zu gelingen, obwohl sie sich wie ein Krimi lesen. In der Nacht zum 13. August 1961 riegelten DDR-Soldaten die Grenze zu Westberlin mit Stacheldraht ab. Später wurde eine Mauer von insgesamt 161 km Länge daraus. Gerüchte im Vorfeld wurden im Juni 1961 von SED-Chef Walter Ulbricht mit dem bekannten Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" abgewiesen.
Todesfalle Grenze
Die Bilanz am Ende der DDR: mindestens 140 Todesopfer vom Mauerbau bis zum Mauerfall am 9. November 1989. Die Menschen starben auf der Flucht nach Westberlin. Sie ertranken oder wurden von DDR-Grenzern erschossen - wie Chris Gueffroy. Er war 20 Jahre alt und starb neun Monate vor dem Fall der Mauer an seinen Schussverletzungen. Sein Tod führte nach der Wende - wie die Friedliche Revolution von 1989/90 auch oft bezeichnet wird - zum ersten sogenannten Mauerschützenprozess, in dem sich DDR-Grenzsoldaten für die Schüsse an der Mauer verantworten mussten.
Es wäre [aber] logischer gewesen, die eigentlich Verantwortlichen hier vor Gericht zu bemühen, und unter anderem dann auch sämtliche Abgeordneten der Volkskammer, die für diese Gesetze, die nach dem Dafürhalten der Staatsanwaltschaft ja rechtswidrig sein sollen, die diese Gesetze ja geschaffen haben." Hubert Dreyling, Rechtsanwalt beim ersten Mauerschützenprozess im September 1991.
Lebenserfahrung Grenzschließung
Deutsche Teilung, Flüchtlinge, Tote - wer ist verantwortlich?
Unter Historikerinnen und Historikern wurde lange darüber gestritten, wer für den Bau der Mauer verantwortlich war: Walter Ulricht oder der sowjetische Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow. Von der Antwort aus der Wissenschaft hing eine Menge ab, zum Beispiel wer für das, was in der DDR geschah, verantwortlich war. War sie nur ein Satellitenstaat der Sowjetunion oder konnten die SED-Führung und die anderen Parteien im ostdeutschen Parlament - der Volkskammer - eigenständig handeln? Genau das ist auch in der Bemerkung von Hubert Dreyling oben mitzulesen.
Die öffentlichen Diskussionen um die deutsche Teilung konzentrieren sich zumeist auf die Berliner Mauer. Dabei markiert sie nur einen Teil der Grenze, die beide deutsche Staaten jahrzehntelang teilte. Sie war 1378 km lang - das entspricht ungefähr der Entfernung zwischen Berlin und Monaco.
Schon 1946 ordneten die sowjetischen Besatzungsbehörden den Aufbau einer Grenzpolizei an. Im Mai 1952 ließ die SED-Führung eine fünf Kilometer breite Sperrzone an der Grenze zur Bundesrepuiblik anlegen. Nach 1961 wurde die innerdeutsche Grenze dann immer systematischer ausgebaut. Tretminen, elektrisch geladene Zäune und seit 1966 auch Selbstschussanlagen sollten Fluchtwillige abschrecken. Mindestens 872 Menschen starben, weil sie sich dennoch nicht davon abhalten ließen - darunter Flüchtlinge, die in der Ostsee ertranken, Opfer von Unfällen während der Flucht und diejenigen, die Selbstmord begingen nach entdeckten und verhinderten Fluchten.
Der Mauerbau war für die SED zunächst ein Erfolg: Sie konnte den Flüchtlingsstrom stoppen und ihre Herrschaft stabilisieren. Die Entfernung zur Bevölkerung konnte sie jedoch auf Dauer nicht überwinden. Die Bilder von Tausenden von Fluchtwilligen gegen Ende der DDR zeigen dies besonders deutlich. Die nie ganz zum Stillstand gekommene Fluchtbewegung ist daher auch als Zeichen des Protests der Bevölkerung gegen die SED-Diktatur zu werten. Sie ist zugleich ein Hinweis darauf, dass die deutsche Teilung auch in den Hochzeiten des Kalten Krieges nie vollständig war. So halfen viele Menschen sowohl vor als auch nach dem Mauerbau Ostdeutschen dabei, die DDR zu verlassen: Westdeutsche, Menschen aus Westberlin, die westliche Diplomatie sowie Unternehmerinnen und Unternehmer.
Wissen kompakt
Die wohl umfassendste Seite zum Thema: die Chronik der Mauer in Text, Bild, Film, Ton.
Was hat Gestern mit Heute zu tun?
Auch dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung scheint die deutsche Teilung nicht überwunden.
So hat ZeitOnline zum Beispiel Daten zur Kaufkraft, zur Altersstruktur, zu Besitz- und Einkommensverhältnissen und zum Wahlverhalten in den neuen und den alten Bundesländern in Landkarten dargestellt und damit auch die Folgen von Mauerbau und innerdeutscher Grenze verdeutlicht. Das Ergebnis: Die DDR sei sichtbarer, als gedacht.
Wir haben Bilder gesucht, Grafiken und Statistiken, die von der Einheit erzählen – oder der fortbestehenden Trennung. Wir fanden Daten, die präziser berichten als mancher Zeitzeuge. Zum Beispiel statistische Landkarten. Manche werfen die Frage auf, ob sie vor 1989 oder danach entstanden – so deutlich sind die Umrisse der DDR zu erkennen."*
Zudem wissen junge Menschen in Ost und West nur wenig über die deutsche Teilung. Die letzte repräsentative Umfrage von Infratest Dimap (2014) zeigte, dass unter den 14- bis 29-Jährigen gerade einmal jeder Dritte weiß, dass am 13. August 1961 die Mauer in Berlin errichtet wurde. Knapp jeder fünfte Deutsche kann mit dem Datum überhaupt kein historisches Ereignis verbinden.
Wie kommende Generationen mit der Geschichte umgehen, lässt sich jedoch nicht verordnen. Die bestehenden Deutungen können jeweils nur Angebote sein. Eine Perspektive, die seit einigen Jahren versucht, ihren Platz zu finden, kommt von jungen Menschen, die sich selbst die "Dritte Generation" nennen. Zwischen 1975 und 1985 in der DDR geboren, verstehen sie sich als ein Netzwerk, das den Dialog zwischen den Generationen, zwischen Ost, West und Migration fördern will.
Flüchtlinge und Grenzgänger in Brandenburg: Im westlichen Brandenburg, dessen Gebiete in der DDR zu einem Großteil den so genannten Bezirk Potsdam bildeten, verzeichnete die Staatssicherheit vor dem Mauerbau besonders hohe Fluchtzahlen. Von Januar bis August 1961 flüchteten demzufolge insgesamt 166.865 Menschen - davon allein 20.979 aus dem Bezirk Potsdam. Vor allem Lehrerinnen und Lehrer verließen die DDR in einem solchen Ausmaß, dass der Unterricht in der Region teilweise nicht mehr stattfinden konnte. Durch die Nähe zu Westberlin war auch die Zahl der sogenannten Grenzgänger - Menschen, die im Osten lebten, aber im Westen arbeiteten - im Bezirk Potsdam besonders hoch. Vor dem Mauerbau waren es rund 20.000. Dies führte zu Sozialneid und großer Unruhe in der Bevölkerung. Viele wollten dem einen Riegel vorschieben.
Quelle: Hannelore Strehlow, Der gefährliche Weg in die Freiheit.
BLPB, August 2021 (zuerst erschienen: Mai 2013)
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