Politik und Bürgerwillen

Drei herausragende Beispiele in der Brandenburger Landesgeschichte stehen dafür, wie durch bürgerschaftliche Mitwirkung Politik mit Leben erfüllt wurde, aber auch dafür, wie sich Politik und Bürgerwillen ambivalent entwickelten, und sogar dafür, dass Bürger ein politisches Vorhaben zu Fall brachte.

Rathaus Frankfurt (Oder)
© LISUM

Rathaus Frankfurt (Oder)

Elf Tage nach der Bildung des Landes Brandenburg fanden die ersten Landtagswahlen statt. Die daraus hervorgegangene „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Bündnis 90 unterschied sich in dieser Zusammensetzung nicht nur von den Regierungen der übrigen „neuen Länder“, sondern gab auch Impulse für künftige Konstellationen in anderen Bundesländern.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Konstituierung einer neuen Rechtsordnung. Vielfach waren deren Bestimmungen durch den Einigungsvertrag vorgegeben. Sich im komplizierten Geflecht bundesdeutscher Normen zurechtzufinden, fiel den meisten Brandenburgern schwer. Es gab deshalb eine Vielzahl von Übergangsregelungen. Dies war beispielsweise im Familienrecht mit seinen verschiedenen Formen ehelichen Eigentums der Fall.

Prägend für die Weiterentwicklung der Rechtsordnung Brandenburgs war der hohe Stellenwert unmittelbarer Demokratie. Demokratie dufte sich nicht auf den Wahlgang beschränken. Deshalb waren Elemente direkter Demokratie sowohl in der Landes- als auch in der Kommunalverfassung umfassender als in anderen Ländern gestaltet. Die Brandenburger machten häufig Gebrauch davon. Doch hatten entsprechende Initiativen auf Landesebene trotz niedriger gesetzlicher Hürden wenig Erfolg. Anders verhielt es sich auf lokaler Ebene. Hier gab es eine Fülle erfolgreicher Bürgerbegehren, von denen etliche zur Abwahl von Bürgermeistern führten, 1998 auch in der Landeshauptstadt.

Doch bereits auf Kreisebene wird die allgemein beklagte „Politikverdrossenheit“ auch im Verzicht auf direkt-demokratische Rechte sichtbar. So wurde in fünf von sechs Direktwahlen der Landräte - eine 2010 eingeführte Neuregelung – das notwendige Quorum von 15 % nicht erfüllt.

Drei herausragende Beispiele in der Brandenburger Landesgeschichte stehen dafür, wie durch bürgerschaftliche Mitwirkung Politik mit Leben erfüllt wurde, aber auch dafür, wie sich Politik und Bürgerwillen ambivalent entwickelten, und sogar dafür, dass Bürger ein politisches Vorhaben zu Fall brachten:

Landesverfassung 

Brandenburg und seine Verfassung
Der Film kann in der Landeszentrale ausgeliehen werden. 

Das herausragende Beispiel für die unmittelbare Mitgestaltung von Politik durch die Bürger war die Landesverfassung, die sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Landesverfassungen unterschied. Sie war die erste ostdeutsche Landesverfassung, die durch einen Volksentscheid – er fand am 14. Juni 1992 statt – legitimiert wurde.

Danach wurden auch in anderen „neuen“ Ländern dem Volk die Verfassungen zur Entscheidung vorgelegt. Der Abstimmung vorausgegangen waren Hunderte von Vorschlägen und äußerst kontroverse Debatten, in der Gegner den Entwurf als „Weg in eine andere Republik“ ablehnten, während seine Befürworter ihn – zu Recht, wie sich zeigen sollte - als beispielgebend für künftige Verfassungsentwicklungen lobten.

So nahm Brandenburgs Landesverfassung nicht nur demokratische Verfassungstraditionen – sogar in Originalformulierungen aus der „Paulskirchenverfassung“ von 1849 – auf, sondern auch der DDR-Bürgerbewegungen. Formulierungen zur Würde im Sterben oder zum Benachteiligungsverbot wegen sexueller Identität entstammen nahezu wörtlich der Verfassung des „Runden Tisches“ der DDR.

Ausführliche Informationen

"Verfassung? Ja bitte!"
Worüber gestritten wurde und was besonders ist.

Kommunalverfassung

Ebenso wie die Landesverfassung entsprach auch die Kommunalverfassung von 1993 dem vielfach artikulierten Bürgerwillen. Durch die nach Überwindung zentralistischer Herrschaftsstrukturen zurückgewonnene kommunale Selbstverwaltung überwogen nun eigenständige kleine und kleinste Gemeinden. Diese waren aber wirtschaftlich kaum leistungsfähig. Dadurch entstand trotz der Bildung von Ämtern als gemeinsame Verwaltungseinheiten rasch ein Konflikt zwischen der Meinung vieler Bürger und Kommunen und politisch-wirtschaftlichen Erfordernissen.

Die Landesregierung favorisierte nun – nachdem schon 1992/93 leistungsfähige Großkreise entstanden waren – auch kommunale Zusammenschlüsse zu starken großen Gemeinden. Sie setzte deren Bildung – auch im Konflikt mit vielen Kommunen – durch. Zwischen 2000 und 2002 reduzierte sich die Zahl der Gemeinden von fast 2000 auf etwa 750.

2008 wurde die Kommunalverfassung des Landes noch einmal überarbeitet und unter anderem die Direktwahl der Landräte eingeführt.

Volksentscheid Fusion Berlin-Brandenburg

In einen Gegensatz zur aufwändig propagierten Erwartung der Landesregierung stellten sich die Brandenburger, als sie 1996 in einem Volksentscheid einem gemeinsamen Bundesland Berlin-Brandenburg ihre Zustimmung versagten.

In der Vergangenheit hatte das Zusammenwirken zwischen der Hauptstadt und Brandenburg nützliche Resultate erzielt, von denen noch heute jedermann profitieren kann wie vom „Dauerwaldvertrag“ von 1915, der bis heute ausgedehnte Berliner Waldflächen der Bauspekulation entzieht.

Von einer Vereinigung der beiden Länder versprachen sich Politiker weitere Vorteile für alle Beteiligten; nicht zuletzt hätte sie eine Reform des Föderalismus in Deutschland stimulieren können. Dennoch erteilten die Brandenburger der Fusion eine Absage. Von dem Ziel, den Plan später erneut aufzugreifen, nahm man wegen der offenkundigen Ressentiments der Brandenburger vorerst Abstand.

Eine Vielzahl von Staatsverträgen und Kooperationsvereinbarungen regelt nun die Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Seit März 2009 gibt es einen Gemeinsamen Landesentwicklungsplan, von dem sich allerdings etliche Brandenburger Kommunen benachteiligt fühlen und mit Klage drohen.

 

 

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