Nachbar Polen

Wie können wir Brücken bauen?

Durch die Europäische Union und das Schengen-Abkommen liegen beiderseits der Oder nicht mehr die entlegenen Grenzregionen der Nationalstaaten, sondern europäische Regionen, in denen grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird.

Die Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR waren durch die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg belastet. Bis 1945 waren Frankfurt und das heutige Słubice (damals Dammvorstadt) eine Stadt auf zwei Seiten der Oder. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Oder zur Grenze und teilte die Stadt.

Auf der deutschen Seite wohnten viele Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, auf der anderen Seite polnische Vertriebene aus dem Osten. Der Kontakt zwischen den Bevölkerungen war verboten, alle Brücken abgebrochen. 1950 schlossen die DDR und die Republik Polen einen Vertrag ab, der die Oder-Neiße-Grenze als Staatsgrenze festlegte und besiegelten damit, was schon Lebenswirklichkeit war.

Erst 1972 wurde diese Grenze wieder geöffnet. Es entwickelten sich schnell persönliche Beziehungen, aber auch eine Zusammenarbeit in Kultur und Wirtschaft. Aus Angst vor der oppositionellen Solidarność-Bewegung in Polen durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger die deutsch-polnische Grenze an der Oder ab 1980 nur noch mit einem Visum passieren. Die Wiedervereinigung weckte neue Hoffnungen, aber auch Ängste. Frankfurt drohte, ins wirtschaftliche Abseits zu rutschen. Der größte Arbeitgeber, das Halbleiterwerk, wurde 1990 zahlungsunfähig. Mittelständische Betriebe gab es kaum.

Kompakt erklärt: Nachbar Polen

Zusammenwachsen nach der Wiedervereinigung

Im April 1991 öffnete sich die polnisch-deutsche Grenze für den visafreien Personenverkehr und die jahrelang unterbrochenen privaten und kulturellen Beziehungen konnten wiederaufgenommen werden. Im selben Jahr wurde auch die Frankfurter Universität als Europauniversität Viadrina neu gegründet. In Forschung und Lehre widmet sie sich grenzüberschreitend der Region Ostmitteleuropa und bereitet die jungen Generationen auf ein Berufsleben beiderseits der Grenzen vor.

Durch die Europäische Union und das Schengen-Abkommen liegen beiderseits der Oder nicht mehr die entlegenen Grenzregionen der Nationalstaaten, sondern europäische Regionen, in denen grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird. In Brandenburg gibt es drei Euroregionen: die Landkreise Uckermark und Barnim gehören zur Euroregion Pomerania, Märkisch-Oderland, Oder-Spree und Frankfurt (Oder) zur Euroregion Pro Europa Viadrina und Spree-Neiße und Cottbus zur Euroregion Spree-Neiße-Bober.

Am 16. März 2020 führte Polen wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland ein, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Kurz vor dem 25. Jahrestag des Schengen-Abkommens trat dieses an vielen Grenzen innerhalb der Europäischen Union zeitweise außer Kraft. Familien, die mittlerweile beiderseits der Oder leben, arbeiten, Ausbildungen machen oder Schulen und Universitäten besuchen, stellte das vor besondere Herausforderungen. 13.000 Polen pendeln täglich nach Brandenburg um dort zu arbeiten.

Illustration: Anne Baier, ByeByeSea.com
© Anne Baier, ByeByeSea.com

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Slubfurt: Von der Utopie zur Realität?

Als politisches Kunstprojekt gründete ein Verein um Michael Kurzwelly 1999 die Stadt Słubfurt, bestehend aus Słubice und Frankfurt (Oder). Die fiktive Stadt bekommt von Jahr zu Jahr mehr lebensweltliche Institutionen wie eine Währung, eine Stadtmauer, eine Sprache, einen Radiosender, eine Touristeninformation und ein Kommunalparlament.

Der EU-Beitritt Polens und der Wegfall der Grenzkontrollen 2007 erleichterten das Zusammenwachsen der Städte. Von beiden Seiten der Oder sah man diesen Prozess kritisch. Auf der deutschen Seite befürchtete man einen Anstieg der Kriminalität, auf der polnischen eine Verschlechterung des Verhältnisses zu den östlichen Nachbarn. Sie konnten nun nicht mehr so einfach nach Polen einreisen. Der Slubfurt-Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Ängste durch Begegnung abzubauen.

Und bald zeigte sich, eine gemeinsame Stadt ist nicht genug: 2010 gründeten Kulturakteure der deutsch-polnischen Grenzregion ein Netzwerk unter dem Namen Nowa Amerika und trugen die Idee einer gemeinsamen Zukunft weiter in die Region um Oder und Neiße.

Das Projekt, das polnische und deutsche Grenzlandbewohnerinnen und -bewohner zusammenbringen will, verbindet nun auch Alteingesessene mit Geflüchteten: Im interkulturellen Zentrum gibt es gemeinsames Fußballtraining, ein Repaircafé und eine Nähgruppe.

2019 erhielt Michael Kurzwelly von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande, weil er sich mit Słubfurt und Nowa Amerika für ein gelebtes Grundgesetz einsetzt.

BLPB, September 2020

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