Der Anteil der Polen an der deutschen Einheit wird in der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet. Zu Unrecht, meint Basil Kerski, Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig.
Die Deutschen feiern in diesem Jahr ein Vierteljahrhundert Deutsche Einheit. Was fällt Ihnen dabei am meisten auf?
Das sind zwei Dinge. Zum einen bin ich überrascht, wie national auch nach 25 Jahren die deutsche Einheit betrachtet wird. Es gibt kaum Veranstaltungen, die das Ereignis auch aus nicht-deutscher Sicht diskutieren. Zum anderen fällt mir die emotionale Distanz zum historischen Vereinigungsprozess auf. Die positive Nachricht ist wohl dabei, dass das vereinigte Deutschland heute für die Deutschen eine Selbstverständlichkeit ist, vergessen sind die Folgen von Jalta, der Eiserne Vorhang, die Leiden der europäischen Teilung. Dieses Trauma ist vorbei, was sehr gut ist. Andererseits habe ich den Eindruck, dass auch Vergessen und Gleichgültigkeit heute eine Rolle spielen. Die meisten Menschen haben vergessen, wie fundamental die Revolutionen von 1989 waren, wie mutig die damaligen Revolutionäre waren. Vergessen ist auch, dass damals Deutschland von den mitteleuropäischen Revolutionen, vor allem in Polen und Ungarn, profitiert hat.
Wenn man an die Wiedervereinigung denkt, fällt den meisten Deutschen nicht zuerst Polen ein. Sie aber weisen ausdrücklich auf die polnische Rolle auf dem Weg zur Deutschen Einheit hin. Warum?
Die deutsche Einheit wurde durch verschiedene Faktoren möglich: den Zerfallsprozess in der Sowjetunion, die Revolution in der DDR und den Sog, den die friedliche Solidarność-Revolution in Polen ausgelöst hat. Als im Herbst 1989 die Menschen in der DDR auf die Straßen gingen, hatte Polen bereits eine demokratische Gesellschaft erkämpft und einen nichtkommunistischen Regierungschef, Tadeusz Mazowiecki. Bereits im Februar 1989, als niemand in Deutschland an eine Veränderung der europäischen Verhältnisse glaubte, setzten sich in Polen die Vertreter der kommunistischen Diktatur und der Freiheitsbewegung Solidarność an einen Runden Tisch und handelten einen friedlichen, evolutionären Weg in die Freiheit aus. Dieser Runde Tisch markierte den Höhepunkt des langen Weges der polnischen Solidarność-Revolution von der Danziger Streiks im Sommer 1980 bis zu den friedlichen Verhandlungen 1989. Dazwischen lagen Konflikte, zum Beispiel die blutige Niederschlagung der Solidarnosc im Dezember 1981 als das Kriegsrecht in Polen eingeführt wurde.
Ich bin überrascht, wie national auch nach 25 Jahren die deutsche Einheit betrachtet wird. Die positive Nachricht dabei ist wohl, dass das Trauma der Teilung bei den Deutschen vorbei ist.
Basil Kerski, Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig
Aber was haben die Ereignisse in Polen mit der Friedlichen Revolution in der DDR zu tun?
Die Solidarność träumte von einem neuen, freien, demokratischen Europa. Das Ziel sollte mit friedlichen Mitteln erreicht werden. Die Solidarność faszinierte und beeinflusste Europäer, gab ihnen den Mut, für ihre Freiheit einzutreten. Die Solidarność beeinflusste das politische Klima in Europa, das politische Denken, sie verband revolutionäre Forderungen mit der Kultur des friedlichen Kompromisses, sie erfand die selbstbeschränkte Revolution, die geduldig und friedlich, Schritt für Schritt die Freiheitsräume erweiterte. Ohne die Solidarność wären die DDR-Bürger nicht auf die Straßen gegangen, die Solidarność forderte auch Moskau heraus, die eigene Politik in Mitteleuropa fundamental zu überdenken. Dem Runden Tisch in Warschau folgten dann Runde Tische in Ungarn, der DDR oder Bulgarien.
Vergessen ist heute auch weitgehend, dass ein Hindernis auf dem Weg zur Deutschen Einheit die Regelung der Oder-Neiße-Grenze bildete. Die deutsch-polnische Versöhnung vor 1989, vor allem von gesellschaftlichen Akteuren getragen, hat ein gutes, vertrauenswürdiges Klima für die Einheit Deutschlands in den Nachkriegsgrenzen geschaffen. Ohne diesen Prozess wäre die Einheit nicht möglich gewesen.
Wie wird in Polen das vereinigte Deutschland heute betrachtet?
Mit Gelassenheit. Die Menschen schauen auf Deutschland auch mit viel Sympathie. Das Gefühl der kulturellen Nähe und des Vertrauens dominiert. Die Bundesrepublik wird als einer der wichtigsten Verbündeten betrachtet. Das ist eine unglaublich positive Entwicklung nach einem 20. Jahrhundert, in dem die deutsch-polnischen Beziehungen ein universelles Symbol für den Konflikt von Nationen waren. Natürlich gibt es in der Politik immer noch Stimmen, die misstrauisch auf den größeren, wohlhabenden Nachbarn blicken, aber das sind zurzeit Ausnahmen.
Im nächsten Jahr jährt sich am 17. Juni zum 25. Mal der Abschluss des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. Welche Bedeutung hat der Vertrag aus polnischer Sicht?
Dieser Vertrag ist ein wichtiges Element eines Vertragswerkes, das die Grundlage für die Einheit bildete. Die Wiedervereinigung wurde nicht nur durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag der alliierten Großmächte möglich. Eine wichtige Bedingung für die Vereinigung war die grundlegende Lösung der offenen Fragen mit Polen, denn der deutsch-sowjetische Angriff auf Polen 1939 führte zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und zu Verhältnissen in Europa, die zur Teilung der deutschen Nation führten. Die deutsche Frage war nach 1945 unmittelbar mit der polnischen Frage verknüpft, vor allem mit Sicherheitsgarantien. Der Streit um die Oder-Neiße-Grenze symbolisiert diesen Zusammenhang. Nach der Unterzeichnung des Zwei-Plus-Vier Vertrages folgte sehr schnell im November 1990 die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grenzvertrages.
Parallel dazu wurde an einem grundlegenden Vertrag gearbeitet, der die Beziehungen der Länder nach Jahrzehnten der Konflikte auf eine neue Grundlage stellen sollte. Dieser Vertrag wurde schließlich am 17. Juni 1991 in Bonn unterzeichnet und markiert den Beginn eines neuen Zeitalters nicht nur in den deutsch-polnischen Beziehungen, sondern in Europa. Denn in diesem Vertrag setzten sich beide Länder das Ziel, eine Partnerschaft von Bündnispartnern aufzubauen. Dies ist dann auch tatsächlich auch eingetreten, die Bundesrepublik hat maßgeblich Polens Weg in die NATO und EU unterstützt, wodurch Europa grundlegend verändert wurde. In seiner Bedeutung würde ich den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 mit dem Elysee-Vertrag von 1963 vergleichen.
Vielen Dank.
Landeszentrale, Oktober 2015
Teilen auf
Neuen Kommentar hinzufügen